Das Prometheus Mosaik - Thriller
Glastür auf der anderen Seite des Raumes erblickte, schien das Turmzimmer inzwischen regelrecht infiziert zu haben und so sehr Teil davon zu sein, dass Katharina gar nicht bis zum Balkon hinübergehen musste, um sie zu sehen, zu spüren und sich vor ihr zu fürchten.
Im Mondlicht heftete sie den Blick auf Dinge im Raum, die ihr noch vertraut waren, auf die Staffelei, die mit einem Tuch verhangen war, auf den kleinen Arbeitstisch daneben und, unter Staub begraben, ihre Palette, Pinsel und ein paar halb ausgequetschte Farbtuben, alle längst ausgetrocknet und hart geworden.
Der beklemmende Eindruck, hier fremd zu sein, wich ein wenig dem angenehmen, wärmenden Gefühl eines Wiedersehens mit alten Freunden und Orten.
Katharina lauschte. Ein ums andere Mal hielt sie den Atem an, um über jeden vertraut gewordenen Laut hinauszuhören. Hin und wieder glaubte sie, ein Geräusch zu vernehmen, das nicht ins Haus gehörte.
Sicher war sie sich allerdings nicht. Dazu waren all diese Geräusche zu weit entfernt von ihr und diesem Raum, dem höchst gelegenen der ganzen Villa – in der sie vielleicht doch ganz allein war?
Irgendwann geschah etwas mit der Zeit. Sie verlor ihre Bedeutung, verging rasend schnell und doch unsagbar langsam. Katharina trug gewohnheitsmäßig keine Armbanduhr. So hatte sie keine Ahnung, wie lange sie schon hier oben war, als sie auf dem Schemel vor der mit einem Tuch und Staubschleiern verhangenen Staffelei hochschreckte. Weder konnte sie sich erinnern, auf dem Hocker Platz genommen zu haben, noch daran, eingenickt zu sein, und zunächst waren es nur der Geruch eines lange nicht gelüfteten Raumes und der ganz schwache von Terpentin und Farben, die sie daran erinnerten, wo sie war. Dann erst sah sie sich um.
Das Licht im Turmzimmer hatte sich verändert. Die Vorboten des neuen Tages ließen das Schwarz und Grau der Nacht verschwinden und gaben dem Raum seine Farben zurück, ganz zart noch, pastellen im frühen Licht des Morgens. Draußen zwitscherten die ersten Vögel.
Doch waren es weder das aufglimmende Licht noch der Vogelgesang gewesen, die Katharina geweckt hatten.
Sie war nicht mehr allein im Zimmer.
Sie sah ihn nicht, den anderen, nicht richtig, und sie spürte ihn auch nicht in dem Sinne, wie man jemanden spürt, der hinter einem steht.
Sie erahnte ihn nur.
Aus der dunklen Ecke in der Nähe der Treppe, wohin das Licht noch nicht vorgedrungen war, starrte sie jemand an.
Katharina konnte in diesem Winkel des Zimmers nur Schwärze ausmachen. Nur war in dieser Schwärze etwas.
Eine sachte Bewegung.
Ein kaum hörbares Atmen.
Ein Augenschimmern.
Vielleicht aber war da auch gar nichts …
Katharina stand auf und wollte einen Schritt auf die Treppe zugehen. Doch stattdessen und zu ihrer Überraschung ging sie in Richtung des Fensters und der Balkontür.
Die Machtverhältnisse in ihr schienen sich aus irgendeinem Grund verlagert zu haben. Der Teil, der sie vorhin noch – vor Stunden oder Minuten – zur Flucht nach oben getrieben hatte, war inzwischen offenbar jenem unterlegen, der ihr geraten hatte, aus dem Haus zu fliehen. Und Letzterer bestimmte nun ihr Handeln und flüsterte ihr immer noch dasselbe ein: Verschwinde aus diesem Haus!
Als sie die Tür zum Balkon erreicht hatte, entriegelten ihre Finger das Schloss und drückten den Griff nach unten. Nicht sie, sondern der Wind stieß die Tür auf, die immer schon zu locker im Rahmen gesessen hatte, und riss sie ihr aus der Hand. Instinktiv machte Katharina eine Halbdrehung, um nach dem Türgriff zu fassen, und dabei nahm sie aus den Augenwinkeln eine diesmal deutlicher zu sehende Regung im Dunkel des Treppenaufgangs war. Als löse sich ein Stück der sich dort ballenden Finsternis heraus, jedoch ohne sich tatsächlich in Bewegung zu setzen.
Katharina fand sich fast unversehens auf dem Balkon wieder. Draußen. Vor der Tür. Drei Etagen über der Welt, in die sie seit Jahren keinen Fuß mehr zu setzen gewagt hatte.
Das Herz schien ihr aus der Brust springen zu wollen, so trommelte es gegen seinen knöchernen Käfig. Ihre Lungenflügel mussten völlig schlaff und kraftlos darin hängen, denn sie bekam kein Quäntchen Luft mehr, während sie unter der Kälte ihres eigenen Schweißes fröstelte.
In den Jahren der Isolation waren ihr die vielen Eindrücke aus der Welt da draußen fremd geworden. Nun ergossen sie sich mit einem Mal wie Wasser durch einen geborstenen Damm in sie hinein. Ihre Sinne schienen zu explodieren. Sie wurden der
Weitere Kostenlose Bücher