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Das Prometheus Mosaik - Thriller

Das Prometheus Mosaik - Thriller

Titel: Das Prometheus Mosaik - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Stahl
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hatte.
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    S ANKT -V INZENZ -K RANKENHAUS , 6:23 U HR
    Die Erfahrung war neu für Theo, das Gefühl vollkommen fremd. Mehr noch, er selbst kam sich wie ein Fremder vor an diesem ihm bisher so vertrauten Ort, wo er vierundsiebzig Mal gegen den Tod gekämpft hatte.
    Diesmal war es anders. Zwar nahm er den Tod auch in dieser fünfundsiebzigsten Runde wie einen Schatten wahr, eine schemenhafte, substanzlose Gestalt am Rand seines Gesichtsfelds, die geduldig ihrer Chance harrte. Nur schien ihm sein Gegner heute übermächtig, und er fühlte sich klein.
    Professor Strohmayer, Chefarzt des Hauses, und Yash Kapoor hatten ihm nahegelegt, dieses Mal auszusetzen, das Feld allein ihnen zu überlassen. Theo hatte abgelehnt. Der Preis, um den es heute ging, war zu hoch, war ihm zu teuer, zu lieb – auch wenn er nichts davon in Worten auszudrücken imstande war.
    Strohmayer und Yash wussten nicht, was er wusste. Sie trauten es ihm nicht zu, aber er konnte es -den Sohn in sich hinreichend vom Arzt trennen, um seine Mutter frei von Befangenheit und Skrupeln operieren zu können. Das sagte ihm sein Verstand, und auf den war unbedingter Verlass. So war es immer schon gewesen, so würde es auch jetzt sein. Und beinahe gelang es ihm, sich das überzeugend einzureden, wie ein Mantra.
    Tatsache jedoch war, und sie wurde mit jeder Minute unleugbarer, dass die Eisigkeit, die er für gewöhnlich im OP empfand, abzuschmelzen begann. Ein Prozess, der, wie er rückblickend erkennen musste, während der Fahrt zum Krankenhaus eingesetzt hatte. Emotionen brachen aus ihm hervor wie Vulkane, die bis dato auf der Karte seines Innenlebens nicht verzeichnet gewesen waren. Immerhin lief sein gewohnt nüchternes, zweckgerichtetes Denken parallel dazu auf einem eigenen Gleis und steuerte sein Tun. Von unterwegs aus hatte er die Kollegen in der Klinik instruiert und alles vorbereiten lassen. Er hatte sogar die Polizei benachrichtigt, wie es Vorschrift war in einem solchen Fall, wenn die Umstände auf einen Unfall oder Selbstmordversuch hindeuteten.
    Selbstmord …
    Das Wort allein ließ Theo schaudern.
    Das ist unmöglich, wollte er denken. Nur konnte er es nicht. Er kam nicht umhin, diese Möglichkeit wenigstens in Betracht zu ziehen. Seine Mutter war krank. Wie krank, das ließ sich aufgrund ihrer Weigerung, sich einer Behandlung zu unterziehen, nicht konkret sagen. Auch Theo hatte stets nur dem äußeren Anschein nach urteilen können. In seine Mutter hineinzuschauen, war auch ihm nicht möglich gewesen …
    Der Operationssaal war erfüllt von jenem besonderen Gemisch aus Geräuschen, Gerüchen und knappen Anordnungen, das es nur in einem OP und in einer Situation wie dieser gab, in der die Luft gespannt schien wie ein unsichtbares Segel, und diese charakteristische Spannung wiederum durchdrang alles und jeden.
    Nur Theo nicht. Nicht, weil er immun war gegen dieses Gefühl, sondern weil er ein anderes, machtvolleres kennenlernte. Er verspürte die Art von Gespanntheit, wie sie die Angehörigen all jener Schwerverletzten empfunden haben mussten, die man ihm je unters Messer gelegt hatte. Zum ersten Mal konnte Theo wirklich mit ihnen fühlen. Mitgefühl wurde für ihn vom bloßen Wort zur Erfahrung, und er kam sich verunsichert und zunehmend hilfloser vor. Was da mit ihm geschah, schien ihn zu einem anderen zu machen als dem, der er bisher gewesen war. Oder gewesen zu sein glaubte. Er wurde zu jemandem, der immer weniger begriff, was um ihn herum passierte oder was er selbst tat. Schnelle, präzise Handgriffe, die er schon zigmal ausgeführt hatte, waren ihm plötzlich kaum noch vertraut. Die Menschen, die mit ihm im OP standen, bedienten sich einer Sprache, die er offenbar nicht kannte, weil er immer weniger verstand von dem, was sie sagten. Er degenerierte zum blutigen Laien, der unversehens in einem OP gelandet war – im OP eines Krankenhauses nicht nur am Ende der Welt, sondern auf einem anderen Planeten, so fremdartig erschien ihm auf einmal alles.
    Theo fühlte sich dem Geschehen, der Realität entrückt. In seiner Brust tat sich etwas auf wie ein schwarzes Loch, das alles, was ihn ausmachte, gnadenlos aufsaugte, bis nur noch Chaos übrig war, ein Aufruhr seines Innersten, der wohl Verzweiflung sein musste. Denn auch dieses Gefühl hatte er bisher nur dem Namen nach gekannt. Als Empfindung war es ihm nie widerfahren.
    Unvermittelt schlug die Atmosphäre um. Die gespannte Ruhe im Raum zerriss, und dahinter brach Hektik hervor wie Bienen aus einem

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