Das Prometheus Projekt
wandte sich ab und wollte in der Sakristei verschwinden, aber der späte Besucher legte ihm seine Hand schwer auf die Schulter. Wildenberg ging durch das Gewicht in die Knie. Der Fremde schob ihn einfach zur Seite und stapfte zum Altar. Wildenberg öffnete den Mund, um zu protestieren, aber seine Kehle war plötzlich zugeschnürt. Verwirrt sah er zu, wie der Riese die beiden Stufen zur Apsis hinaufstieg und vor dem Kruzifix stehen blieb.
Wildenbergs Ärger war verraucht, als hätte er nie existiert und verwandelte sich in kalte Angst. Etwas Dämonisches ging von dem Fremden aus, es war nicht länger zu leugnen. Der Hüne hob die Hand und strich über das Holz des Kreuzes. Wildenberg erwachte aus seiner Starre.
„Bitte fassen Sie das Kruzifix nicht an. Es schickt sich nicht.“
Der Mann drehte sich um. „Hat er Seele?“, fragte er.
Wildenberg war, als hätte er sich verhört. „Wie meinen Sie das? Gott ist Seele! Er ist unser aller Schöpfer. Seiner unendlichen Liebe und Güte verdanken wir unsere unsterbliche Seele!“
Er fasste sich. Vielleicht war der Mann Ausländer und sprach nur gebrochen Deutsch. Möglicherweise war er ja in seine Kirche gekommen, um sich dem christlichen Glauben zuzuwenden. Ja, am Ende wollte er gar getauft werden! WildenbergsMissionarseifer erwachte und verdrängte die Angst.
„Nun, ich sehe, Sie haben sich entschlossen, etwas über Gott zu erfahren“, begann er. Der Fremde blickte ihn mit einer Mischung aus Neugier und Skepsis an.
„Nein, sagen Sie nichts“, fuhr Wildenberg eifrig fort. „Ich sehe es Ihnen an. Gott will, dass Sie zu ihm kommen, nur darum sind Sie hier.“
Der Mann drehte sich irritiert um die eigene Achse und suchte mit den Augen die Kirche ab, als nehme er Wildenbergs Sätze wörtlich. Dann fiel sein Blick wieder auf das hölzerne Kruzifix.
„Schauen Sie ihn nur an, seine Augen sind die Fenster zu unser aller Seelen“, erklärte der Pfarrer. „Er leidet für uns, für unsere Sünden – auch für Sie.“ Wildenberg eilte die Stufen zum Altarraum hinauf.
„Gott hat seinen Sohn auf die Erde geschickt und ihn Mensch werden lassen. Er ist für uns am Kreuz gestorben, bis seine Seele den Körper verließ und in den Himmel aufgefahren ist. Und nach drei Tag…“ Wildenberg kam nicht weiter. Der blonde Mann hatte ihn am Kragen gepackt, riss ihn hoch wie eine Stoffpuppe und krallte seine Linke in Wildenbergs Brust.
„Seele?“, fragte er wieder. „Hast du Seele?“
Wildenbergs Herz schlug hart gegen seine Rippen. Das Gesicht des Fremden war jetzt ganz dicht vor seinen Augen. Etwas ging darin vor. Unter der blassen Haut pulsierte lebendige, kraftvolle Energie. Für einen Moment verschwamm die harte Linie seines Kinns und der breiten Wangenknochen vor Wildenbergs Augen, als stünde eine Metamorphose kurz bevor. Unter der Oberfläche geschah etwas Unheimliches, als ob eine gewaltige Kraft die Struktur jeder einzelnen Zelle neu ordnete, um ein neues Wesen zu schaffen. Winzige schwarze Flecken tauchten unter seiner Haut auf und verschwanden wieder wie eine Armee streitbereiter Ameisen, die auf ein einziges Kommando hin unter der Haut Stellung bezogen.
Etwas wollte ausbrechen .
Der Pfarrer stammelte ein Gebet. Noch vor einer Viertelstunde hatte er voller Zorn den alten Feind stumm zum Zweikampf herausgefordert, und nun zitterte er vor Angst.
„Vade retro, Satanas!“, keuchte er mit erstickter Stimme. Seine Füße zappelten hilflos über dem Boden. Mühelos hielt sein Gegner ihn mit ausgestrecktem Arm in der Luft. Seine rechte Hand näherte sich Wildenbergs Kopf. Der Pfarrer kreischte. Das Ding vor seinem Gesicht war keine menschliche Hand. Die Finger besaßen zu viele Gelenke und liefen in gekrümmten, messerscharfen Klauen aus. Er spürte einen schrecklichen Schmerz in der Brust und schmeckte heißes Blut in seiner Kehle, kurz bevor sein Genick brach wie ein dürrer Ast.
7 Fragen
7
Fragen
„Du solltest Feierabend machen, Edgar.“ Walter Engelmann runzelte besorgt die Stirn. Sehner hatte sich auf einem Stuhl niedergelassen und drohte zum wiederholten Mal einzunicken.
„Erst wenn ich deinen Bericht gehört habe.“ Er rieb sich die Augen und stand seufzend auf.
„Die Knochen sind nicht mehr die jüngsten, was?“, fragte Engelmann lächelnd. Er trat an die Edelstahlspüle, um seine Instrumente zu säubern.
„Das sagt mir ein Kerl, den sie das ,Gespenst’ nennen. Außerdem bin ich nur ein Jahr älter als du.
Engelmann grinste
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