Das Puppenzimmer - Roman
war, zog ich mich wieder zurück, froh, dass ich die Frau dabei nicht aufgeweckt hatte. Aber beim nächsten Zimmer, endlich, hatte ich Glück.
Vorsichtig schlich ich mich hinein, und da lagen Lucy und Evelyn in ihren Betten, tief in Schlaf versunken, und hörten mich nicht. Ich wollte Lucy in Sicherheit bringen. Nachdem ich schon Alan verloren hatte – oder besser, mich darüber freuen sollte, dass er es mit heiler Haut von Hollyhock weggeschafft hatte –, würde ich Lucy nicht hier zurücklassen, das war ich ihr schuldig, und mir auch. Aber was war mit Evelyn? Ich hatte sie nicht halb so lieb wie Lucy, und irgendwo musste auch mal Schluss sein. Ich konnte nicht den halben Haushalt oder gleich den ganzen aus den Betten werfen und alle auf meiner Flucht mitnehmen. Zu zweit konnten wir es schaffen, unbemerkt davonzukommen, zu dritt würde das schon schwieriger werden. Es war nicht so, dass ich Evelyn nicht mochte, ich hatte nur wenig mit ihr zu tun, zu wenig, um wirklich eine Meinung über sie zu haben. Aber ich wusste, dass sie Lucy schon ein- oder zweimal Ärger bereitet hatte, und Ärger konnte ich auf meiner Flucht nun wirklich nicht brauchen. Und hätte Evelyn mir geglaubt? Also nur Lucy.
Ich schlich zum Bett, in dem meine Freundin in tiefem Schlaf lag. So weit, so gut. Aber wie sollte ich jetzt das eine Mädchen wach bekommen, ohne dass auch das andere etwas davon mitbekam? Schließlich beugte ich mich über Lucy, hielt ihr eine Hand vor den Mund, dass sie nicht schreien konnte, und mit der anderen Hand rüttelte ich sie ganz sanft an der Schulter. Ich wollte nicht, dass sie einen Schrecken bekam, aber natürlich bekam sie den, und zwar gewaltig.
Ich fühlte, wie ihr Körper ganz steif vor Angst wurde; sie riss die Augen auf, starrte mich an und hatte keine Ahnung, wer ich war. »Schscht«, hauchte ich mehr, als dass ich sprach, mit dem Mund ganz nah an ihrem Ohr. »Ich bin das, Florence! Sei ganz still, ich will Evelyn nicht wecken. Verstehst du mich, dann nick einmal, aber sag nichts!«
Es dauerte einen Moment, dann fühlte ich Lucy nicken, dass ihr Mund sich unter meiner Hand hin und her bewegte. Es tat gut, nach den schlimmen Träumen die Wärme eines Menschen zu spüren. Ganz langsam ließ ich los, bereit, ihr jederzeit wieder den Mund zuzuhalten, sollte sie Anstalten machen, auch nur einen Mucks von sich zu geben.
»Wir müssen hier weg«, flüsterte ich, »heute Nacht noch. Schnapp dir dein Kleid und komm in mein Zimmer – nein, warte, hast du vielleicht noch ein zweites? Kannst du mir das leihen?« Meine Flucht war nicht gut geplant, ich war noch viel zu aufgewühlt von meinem Traum und dem, was ich begriffen hatte, aber in jedem Fall war das schlichte Kleid eines Dienstmädchens besser dafür geeignet als ein weißes Ding mit Schleifen und Rüschen. Wenn es nur nicht zu viel Lärm machte, etwas Passendes zu finden!
Wieder nickte Lucy, und ich bedeutete ihr, dass ich jetzt in mein Zimmer gehen und da auf sie warten würde, wo wir zumindest miteinander tuscheln konnten, ohne Angst haben zu müssen, das halbe Haus zu wecken. Ich ließ meine Zimmertür einen Spalt weit offen; dann wartete ich, hörte mein Herz hämmern und versuchte, irgendwie einen Plan zustande zu bringen. Ich saß auf dem Bett, ich stand am Fenster, ich strich wie ein Tiger hin und her, voller Unruhe und Angst.
Endlich tauchte Lucy auf, schob sich ins Zimmer und machte die Tür zu. Sie war im Nachthemd, hatte noch ihr Schlafhäubchen auf, und über dem Arm trug sie tatsächlich zwei Kleider. Das eine streckte sie mir hin. »Ich konnte nicht an den Schrank gehen«, flüsterte sie. »Der knarzt so. Da habe ich Evelyns genommen, ich hoffe, das passt dir auch.«
Ich wollte ihr schon sagen, dass sie es zurückbringen sollte, schließlich war es zu auffällig, der armen Evelyn das Kleid zu stehlen – aber auf der anderen Seite würde unsere Flucht am nächsten Morgen so oder so bemerkt werden, und dann kam es auf ein Kleid mehr oder weniger auch nicht an. Und wenn sie wollte, konnte Evelyn dann von mir aus gerne alle meine Sachen haben. Hauptsache, wir kamen so schnell wie möglich hier weg, damit wir einen ordentlichen Vorsprung hatten, wenn sie unser Verschwinden entdeckten.
So half ich Lucy beim Anziehen, und sie half mir. Schließlich stand ich da in einem etwas zu großen Baumwollkleid, farblich irgendwo zwischen Blau und Grau, mit einer Schürze und hellem Kragen. Ohne hinsehen zu müssen, flocht ich mir ein paar Zöpfe –
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