Das Puppenzimmer - Roman
wollte nur eben nach Lucy schauen.« Wenn mir jemand hier im Haus gute Manieren angewöhnt hatte, dann diese Frau – aber jetzt schien das nicht zu interessieren. Sie beachtete mich immer noch nicht. Ich durchquerte die Küche und ging zu Lucy, die auf ihren Zehenspitzen stand mit dem Lappen in der Hand, aber auch sie drehte sich nicht zu mir um und arbeitete weiter, bis ich ihr die Hand auf die Schulter legte. »Lucy, ich wollte nur … Ist alles in Ordnung mit dir?«
Eine Sekunde fürchtete ich, dass es nur ein Trugbild war, dass meine Hand durch Lucy hindurchgleiten würde wie durch einen Geist, aber sie fühlte sich wirklich an und genauso warm und lebendig wie früher. Doch nicht für mich drehte sie sich um, sondern erst für Blanche, als diese sagte: »Schau gefälligst hin, undankbares Ding, wenn wir mit dir reden!«
Jetzt, endlich, reagierte Lucy, ließ den Lappen sinken und fuhr herum. In ihrem Gesicht war nichts mehr von diesem Funkeln, das ich so sehr liebte; sie erschien blass unter ihren Sommersprossen, und ihre Augen waren stumpf, als sie lächelte und sagte: »Ich tue nur meine Arbeit, Miss, wie es mir aufgetragen wurde.« Mich blickte sie nicht an, als ob sie mich nicht erkannte.
Mir wurde kalt. »Lucy«, sagte ich, »ich bin das doch, Florence – geht es dir gut?« Ich wollte schreien, sie Janet nennen, als ob sie auf ihren richtigen Namen besser reagieren würde, ich wollte sie ohrfeigen –
»Es geht mir gut.« Sollte ich erleichtert sein, weil Lucy endlich mit mir sprach, oder vor Entsetzen wegrennen wegen ihres abwesenden Tonfalls, ihres leeren Gesichts? »Die Herrschaften sorgen gut für mich.«
»Siehst du?«, sagte Blanche und zerrte mich zur Tür. »Da hast du es, es geht ihr gut. Und du stellst dich an wie ein störrisches Kleinkind!«
Ich schüttelte den Kopf. »Hier stimmt doch etwas nicht! Lucy … und die Köchin … und Evelyn … Was ist mit ihnen? Was habt ihr mit ihnen gemacht?«
»Nichts«, antwortete Blanche unbekümmert. »Was mich angeht, so habe ich nichts mit ihnen gemacht.« Sie schloss die Küchentür hinter uns und hüpfte vergnügt in Richtung Treppe. Dass sie eben noch zornig auf mich gewesen war, schien sie längst vergessen zu haben. »Aber bei Violet kannst du dich bedanken, dass sie die so fein hinbekommen hat.«
Mir wurde schlecht. »Was hat Violet –«
Blanche lächelte. »Sie sorgt dafür, dass das Personal folgsam ist und sich aus Dingen heraushält, die es nichts angehen. Wir dachten, es wäre beim Küchenpack nicht nötig, weil sie nicht in die oberen Räume kommen, aber du hast es ja so gewollt.«
»Das heißt, Lucy und Evelyn und alle anderen hier im Haus sind …«
»Da, wo sie hingehören«, sagte Blanche. »Du hast sie ja gehört, es geht ihnen gut. Sie sind nur bezaubert.« Sie strahlte mich an. »Und du, findest du mich nicht auch bezaubernd?« Lachend schüttelte sie den Kopf. »Keine Angst, ich scherze nur. Ich habe versprochen, keine Magie mehr gegen dich anzuwenden.«
Mir war schwindelig. Ich wusste nicht, ob ich mich freuen sollte, dass Lucy mit heiler Haut davongekommen war, oder mich grausen, weil man ihren Willen gebrochen hatte und ihren Geist. Und sosehr ich das zuzugeben hasste: In dem Moment war ich vor allem in Sorge um mich selbst.
»Du hast gesehen, wonach du verlangt hast«, sagte Blanche. »Ich bringe dich jetzt zu Rufus und Violet zurück. Sie finden, es ist an der Zeit, dass du alles erfährst.«
»Alles was?«, fragte ich dumpf und abwesend.
»Alles.« Blanche lachte. »Über uns. Und über dich.«
Dreizehntes Kapitel
»Setz dich«, sagte Rufus. »Nimm Platz.« Er stellte mir ein Glas hin, das nach dem gleichen Getränk roch, welches sie mir nach meiner Ohnmacht verabreicht hatten, und genau deswegen rührte ich es erst einmal nicht an. Es schien Rufus egal zu sein. Niemand forderte mich auf zu trinken.
Ich nickte, erleichtert, dass mich Blanche in den Speisesaal zurückgeführt hatte und es nicht im Morgenzimmer weiterging. Es ging mir nicht ums Essen – was das betraf, hatte ich immer noch keinen Hunger, und wenn ich darüber nachdachte, machte mir das doch langsam Sorgen. Aber ich war froh um die Distanz. Hätte dieses Gespräch in Violets Salon stattgefunden, wo wir sehr eng zusammensaßen – Violet auf ihrem Sofa, ich im Sessel und Rufus stehend neben dem Teetisch –, hätte ich mich nicht getraut, auf die nächste Frage überhaupt zu antworten.
»Jetzt sag geradeheraus: Was glaubst du, was wir sind, dass
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