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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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Weit und breit war kein Tor zu sehen, keine Öffnung, kein Durchgang.
    »Was ist das?«, fragte Lucy. »Warum ist hier kein Tor?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte ich und scharrte mit den Füßen – aber unter mir war Kies, den ich mir nicht einbildete; meine Füße hätten es gemerkt, wenn sie in Wirklichkeit über Gras oder etwas in der Art gewandert wären. Zur Sicherheit fragte ich noch einmal nach: »Aber du hast doch auch das Gefühl, dass wir über die Auffahrt gelaufen sind, nicht über die Wiese, oder?«, und Lucy nickte still.
    »Also gut«, sagte ich. »Wir dürfen uns jetzt nicht ins Bockshorn jagen lassen. Das ist eine Mauer, gut, aber irgendwo muss auch ein Tor sein. Wir finden schon noch den Ausgang.« Das war zwar alles sehr seltsam und auch sehr ärgerlich, aber eigentlich hätte ich mit so etwas rechnen müssen. Es war wie der Irrgarten, der mich seinen Eingang nicht hatte finden lassen, aber trotzdem war ich hineingekommen, weil Alans Augen sahen, was ich nicht sehen konnte. Jetzt war es meine Verantwortung, den Schein zu durchschauen und Lucys Augen zu sein. Erst versuchte ich, einfach durch die Wand hindurchzugehen – wenn ich fest daran glaubte, dass dort ein Tor sein musste, vielleicht war es das dann auch? Aber stattdessen marschierte ich mit dem Gesicht voran in die Rosen, und das war wirklich keine Freude.
    Danach ließ ich meine Hand an der Mauer entlanggleiten. Die Dornen stachen mich dabei immer wieder, und ich fühlte die dicken Stämme dahinter. Diese Wand konnte nicht erst vor einer Woche errichtet worden sein und die Rosen nicht in drei Tagen gewachsen. Es machte mir Angst – nicht, weil die Mauer da war, aber weil es hieß, dass wir von Hollyhock nicht wegkamen. Ohne die Rosen hätte ich ja noch einfach versuchen können, hinüberzuklettern und Lucy auf die andere Seite zu helfen, aber selbst, als ich versuchte, die Pflanzen von der Wand zu reißen, ging es nicht; die Blumen krallten sich ins Gestein und wollten nicht weichen. Ich konnte nur einzelne Blätter abreißen oder die eine oder andere Blüte knicken – es half nichts, die Wand wurde davon nicht überwindbarer. Wir hatten keine andere Wahl, als sie entlangzuwandern – im Dunkeln, Hand in Hand und mit immer größer werdender Angst, je heller der Himmel über uns wurde. Bald kam der Morgen, dann würden sie unser Verschwinden bemerken, und wir standen vor der Mauer wie Hänsel und Gretel, die nicht aus ihrem Wald herausfanden.
    »Lass uns zurückgehen, bitte!«, flehte Lucy. »Wir kommen hier nicht raus, und vielleicht bekommen wir dann keinen Ärger.«
    »Dafür ist es schon zu spät«, sagte ich. »Wir können nicht zurück. Und ich werde jetzt nicht vor einer dummen Mauer klein beigeben.« Ärgerlich trat ich dagegen, aber auch das war dem Stein egal. Es war keine Täuschung, die Mauer so wirklich, wie sie nur sein konnte, und sie schien uns auszulachen.
    So gingen wir weiter, sahen uns immer wieder um, ob vielleicht jemand käme, der uns entdeckt hatte, aber als sie dann wirklich auftauchten, hörte das keine von uns beiden. Nur ein leises Geräusch, wie ein Knacken, doch als ich herumfuhr, war niemand da. Trotzdem, ich war aufgeschreckt. Ich wusste, dass ich meinen Augen nicht trauen durfte.
    »Pass auf!«, zischte ich Lucy zu. »Ich glaube, da ist –« Und dann merkte ich, dass sie nicht mehr da war. Eben hatte ich Lucy noch an der Hand gehalten, nur kurz losgelassen, als ich mich umgedreht hatte – und jetzt stand ich allein vor der Mauer. Meine Freundin war nirgendwo zu sehen, nirgendwo zu hören. Ich war allein, auch wenn ich das Gefühl nicht loswurde, dass ich genau das eben nicht war. Wieder vernahm ich so ein Knacken, hinter mir …
    Ich stand wie versteinert da, versuchte noch, mir einen Reim zu machen auf das, was gerade geschah, als mich etwas am Arm streifte und dann über mein Gesicht fuhr wie eine Hand mit Fingern aus Eis. Der jähe Schreck brachte wieder Leben in mich, ich fuhr herum, wollte wegrennen – aber ich war nicht schnell genug. Ich bildete mir noch ein, ich würde Rufus sehen, der ein Stück entfernt auf der Wiese stand und ganz ruhig zu mir hinüberblickte, aber alles ging unter im Geruch einer Blume, süß, verführerisch, betäubend, der mir die Nasenlöcher hinaufkroch, selbst als ich versuchte, die Luft anzuhalten – und danach weiß ich nichts mehr.
    Als ich wieder zu mir kam, fühlte es sich vollkommen anders an als nach meiner Ohnmacht im Puppenzimmer. Ich lag nicht, sondern saß,

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