Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
Vom Netzwerk:
heraus.
    »Du solltest deine Zuneigung nicht mit der Gießkanne verteilen«, sagte Violet mit ihrer Honigstimme, als habe nichts von dem, was Rufus gerade gesagt hatte, eine Bedeutung. »Nun also ein Mädchen … Sag, Florence, angelst du auf beiden Seiten des Baches?«
    Ich konnte sie nur anstarren und versuchen, langsam die Beherrschung zurückzugewinnen, zumindest was meinen Verstand anging, mein Körper ließ sich immer noch nicht bewegen, und ich fühlte, wie er langsam von den Zehen bis zu den Fingerspitzen taub wurde. »Wenn ihr sie umgebracht habt …«, hörte ich mich krächzen, »wenn ihr sie beide umgebracht habt –«
    »Beruhige dich!« Rufus’ Worte trafen mich im Gesicht wie eine kalte Peitsche. »Denkst du, wir haben nichts Besseres zu tun, als Menschen zu töten, wo wir gehen und stehen? Für wie dumm hältst du uns? Wir wollen keine Aufmerksamkeit auf uns ziehen. Wir leben hier zurückgezogen und friedlich. Wenn wir eines nicht wollen, dann, dass ein zorniger Mob von Menschen über uns hereinbricht, uns Mörder nennt und mit seinen eisernen Mistgabeln Jagd auf uns macht wie in den alten Zeiten. Nur deine Idiotie, Mädchen, bringt uns immer wieder in Gefahr – und dich auch.«
    Ich schüttelte den Kopf. Das wollte ich alles nicht hören. Und ob Rufus oder Violet jetzt in Gefahr schwebten, war mir herzlich egal. Ehe ich nicht wusste, was mit Lucy war, würde ich auf nichts von dem, was sie mir sagen mochten, eingehen. »Was haben Sie mit Lucy gemacht?«, fragte ich hartnäckig. »Ich gehe hier nicht weg, bis ich das weiß.« Es war lächerlich, ich hätte nicht gehen können, und wenn ich es zehnmal wollte, aber Hauptsache, meine Stimme blieb fest.
    »Wie du willst«, sagte Rufus. »Überzeuge dich selbst mit deinen eigenen Augen, dass wir dem Mädchen kein Haar gekrümmt haben.«
    »Soll ich nach ihr rufen lassen?«, fragte Violet, doch Rufus schüttelte den Kopf.
    »Nein, ich will dieses schmutzige Geschöpf nicht hier oben haben. Sie bringt allen Gestank der Küche mit sich. Blanche soll Florence nach unten begleiten.« Offenbar trauten sie mir nicht mehr weit genug, als dass ich mich noch allein durchs Haus bewegen durfte. So stand Blanche, welche die ganze Zeit über kein Wort gesagt hatte, auf und kam zu mir hinüber. Sie packte mich beim Arm und zog mich grob hoch, was mir weh tat, weil ich mich noch immer nicht rühren konnte. Violet machte eine zweite Handbewegung und erlöste mich.
    »Komm mit!«, zischte Blanche.
    Ich nickte und erhob mich mit wackeligen Knien, auf der einen Seite erleichtert und unsicher auf der anderen. Es fühlte sich an wie eine Falle, als solle ich in den Keller geführt werden und nie wieder herauskommen.
    Aber erst in der Halle rückte Blanche endlich damit heraus, warum sie so wütend auf mich war. »Wir sind Freundinnen!«, fauchte sie. »Beste Freundinnen! Warum hast du nicht mich mitgenommen? Was willst du mit … mit diesem verlausten Küchenmädchen?«
    Hatte Blanche nicht begriffen, dass sie es war, vor der ich floh, und sie darum ganz sicher nicht mitnehmen würde? »Weil sie auch meine Freundin ist«, sagte ich. »Und weil sie mich dringender braucht als du.« Wenn Blanche das bis jetzt nicht verstanden hatte, war es sinnlos, es ihr noch erklären zu wollen. »Außerdem, du willst doch nicht in den Garten. Das hast du selbst gesagt. Es ist dir dort zu schmutzig.«
    »Aber du hättest nicht weglaufen müssen! Ich bin doch für dich da!« Nein, sie verstand es nicht, und ich ging auch nicht mehr weiter auf sie ein. Ich wollte mich nicht mit Blanche streiten, ich wollte zu Lucy, und das schnell. Es war mir egal, dass Blanche noch nie im Keller war, dass sie nicht wusste, wo ich hinwollte, ich zerrte sie einfach hinter mir her. Wenn ich eine Aufpasserin brauchte, von mir aus, aber wo es langging, bestimmte trotzdem ich.
    Als ich in die Küche kam, atmete ich erleichtert auf. Alle waren sie da, wohlbehalten und an einem Stück und dort, wo sie sein sollten. Mrs. Doyle stand am Herd und rührte in einem Topf, aus dem es dampfte. Evelyn saß am Tisch und war damit beschäftigt, Erbsen zu pulen, und da, endlich, war auch meine liebe Lucy, diesmal nicht über dem Spültrog, sondern damit beschäftigt, die kleinen vergitterten Fenster zu putzen. Aber etwas stimmte nicht – keiner blickte auf, als ich hereinkam, und die Köchin, sonst nie um ein Schimpfwort verlegen, hielt ihren Mund.
    »Guten Tag, Mrs. Doyle«, sagte ich. »Lassen Sie sich nicht stören, ich

Weitere Kostenlose Bücher