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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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zu teilen –«
    »Sei still!«, fuhr Rufus mich an. »Niemand hat dich nach deiner Meinung gefragt. Dass du weißt, mit wem du es zu tun hast, ist keine Gnade unsererseits – es ist eine Notwendigkeit. Es ist an der Zeit, dich in deine eigentlichen Aufgaben einzuführen. Und die wirst du nicht erledigen können, wenn du nicht verstehst, was du zu tun hast.« Und mit diesen Worten erlosch der Zauber; er war wieder der alte Rufus, kühl und verächtlich. Ob er eine Fee war oder ein Mensch, es war am Ende egal. Vor allem war er Rufus.
    »Und was … was ist meine Aufgabe?«, fragte ich und fürchtete mich schon vor der Antwort – doch ich bekam nicht die, die ich erwartet hatte.
    »Später«, sagte Rufus. »Morgen, vielleicht. Wenn ich das Gefühl habe, dass du begriffen hast.« Er lächelte. »Also nicht jetzt.«
    Und damit war ich entlassen.
    Danach hielt es mich nicht mehr im Haus. Ich brauchte Zeit zum Nachdenken, und das konnte ich nur, wenn ich niemanden sehen musste, schon gar nicht die Feen. Es fiel mir immer noch schwer, von ihnen als solchen zu denken. Ich fragte mich, warum ich Rufus, Violet und Blanche immer noch als Menschen sah und nicht als übernatürliche Wesen, die in menschlichen Körpern steckten, wenn ich doch gleichzeitig sehen konnte, dass die Puppen in Wirklichkeit Kokons mit Seelen darin waren. Es wäre mir lieber gewesen, beides zu können, statt immerzu daran denken zu müssen, dass vor mir drei wandelnde Leichen saßen. Aber auch vom Personal wollte ich keinem begegnen – nicht, seit ich wusste, dass sie alle, bis hin zur niedersten Küchenmagd, unter dem Zauber der Molyneux’ standen.
    Plötzlich fühlte ich mich sehr einsam. Was ich an Freunden in Hollyhock besessen hatte, hatte ich verloren: Alan, Lucy, selbst Blanche. Ich würde sie nie wieder als das Mädchen sehen können, das sie zu sein vorgab. Es war niemand mehr da als ich. Das Gefühl, nicht dazuzugehören, war noch nie so stark gewesen wie in diesem Moment. Ich war keine Fee, ich war nicht verzaubert, ich war irgendetwas, das keinen Namen besaß und keine Vergangenheit. Auch darüber wollte ich nachdenken – gerade darüber. Und der Ort, wo ich das am besten konnte, wo am wenigsten wahrscheinlich war, jemandem über den Weg zu laufen, war der Garten.
    Ich hatte kein bestimmtes Ziel. Vielleicht wollte ich endlich herausfinden, wo der Eingang des Irrgartens war, vielleicht wollte ich sehen, ob auch bei Tageslicht die Auffahrt für mich in einer Mauer endete. Vielleicht wollte ich noch einmal nach der zerstörten Puppe sehen oder nach den Schweinen, den letzten Lebewesen, die hier noch waren, was sie waren. Aber ich konnte mich nicht entscheiden, und so lief ich nur herum und ließ mich treiben.
    Es war ein Feengarten. Endlich verstand ich, warum alles blühte, ganz gleich, welcher Monat es war, und warum ich mich dort so wohl fühlte. Feen gehörten für mich in Parks und Gärten, nicht in Häuser, und erst recht nicht in menschliche Leichen. Langsam begriff ich, was mir solche Angst machte: Dass es mit Blanche nicht zu Ende war, sondern gerade erst anfing. Es gab noch so viele Puppen – würde für jede eine neue Fee kommen, erst, um das Haus zu füllen, und dann, um von Hollyhock aus ins ganze Land auszuschwärmen? Aber war diese Vorstellung wirklich so schlimm? Wenn die Feen keine andere Wahl hatten, um in unserer Welt, in unserer Zeit zu überleben, als sich einen lebenden Körper mit Gewalt oder einen toten mit Tricks zu nehmen … Was war die Alternative: Eine Welt, in der es keine Feen mehr gab? Keine Träume?
    Aber sosehr ich mich auch bemühte, sie zu verstehen: Auf die Träume, die sie mir gebracht hatten, hätte ich gerne verzichtet. Ich sehnte mich zurück in mein altes Leben, selbst nach dem Waisenhaus, als Unwissenheit noch eine Gnade war und ich meinen Platz genau kannte. Wenn Rufus dann nach St. Margaret’s käme und fragte, wer gern mit Puppen spielte, wäre mein Arm der erste, der nach oben ginge. Es war schön, mit Puppen zu spielen. Rufus, Violet und Blanche spielten mit Menschen.
    Ich wanderte über den Rasen, ohne viel auf meine Umgebung zu geben. Meine Gedanken beschäftigten mich zu sehr, als dass die Augen noch viel aufnehmen konnten. Nur ab und zu blieb ich stehen, schaute mich um, sah, wo ich gelandet war, und ging weiter. Unterschwellig fiel mir auf, dass die Arbeit des Gärtners Früchte trug: Es war alles nicht mehr so ungepflegt und überwuchert, was ich ein wenig schade fand, und ich

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