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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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Seele zu beschaffen. Sie erfüllt keinen anderen Zweck, als dem Körper ein Leben vorzugaukeln, das lange vergangen ist.
    Dafür brauchen wir diese Seelen, die in den Puppen reifen. Und deswegen bist du so wichtig für uns. Wir können nicht zulassen, dass du noch einmal wegläufst. Dieses eine Mal werden wir dich nicht bestrafen. Deine Flucht war, berücksichtigt man deine Situation, in Maßen verständlich. Aber jetzt, da du die ganze Wahrheit kennst, wird ein weiteres Fortlaufen nicht toleriert. Nimm diese Warnung ernst. Es wird dir ebenso wenig gelingen wie in der letzten Nacht – aber die Strafe, die du dann erhältst, wird für beide Versuche sein sowie für alle, die noch folgen würden. Hast du mich verstanden?«
    Ich nickte und nahm noch einen Schluck von meinem Wein, damit Rufus mir auch glaubte. Die Wahrheit war: Ich verstand gar nichts. Nun gut – dass die Feen ihre eigenen Seelen mitbringen mussten, das zumindest leuchtete mir ein. Aber nicht, wofür sie mich brauchten. Sie waren Feen. Das, was ich seit ein paar Tagen sehen konnte, sahen sie immer, und vermutlich noch mehr. Sie waren nicht auf mich angewiesen, um ihnen die herangereiften Seelen herauszusuchen – oder etwa doch? Wenn sie die Seelen nicht sehen konnten, weil sie selbst keine besaßen – dann gab mir das einen großen Vorteil ihnen gegenüber. Aber sie mussten nicht wissen, dass ich das herausgefunden hatte. »Und wo –«, fing ich an und musste husten, als mir ein Tropfen in den falschen Hals geriet, »wo kommen diese Seelen her?«
    »Nun«, sagte Rufus ruhig, »ich nehme an, aus Körpern.« Er lächelte. Es schien ihm zu gefallen, mich in Verwirrung zu stürzen, auch wenn ich das Gefühl hatte, dass ihn meine Unwissenheit zuletzt weniger belustigt als mehr genervt hatte, so wie auch ich heimlich hinunterblickte auf die Leute, die nicht so belesen waren wie ich. »Du fragst dich, wie sie in die Puppen gekommen sind?«, fragte er. »Und die Puppen in unseren Besitz? Wenn dein unruhiges Herz dann Frieden findet und du nicht noch einmal in blinder Furcht die Flucht ergreifst, kann ich es dir sagen: Sie wurden, wie auch die Körper, abgelegt und weggeworfen. Es sind Seelen, die niemand haben wollte, denen niemand nachtrauert, die sich freiwillig aus ihren alten Körpern entfernt haben, um den Schrecknissen des Lebens zu entgehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es jemals eine Freude ist, ein Mensch zu sein, aber diese Seelen ziehen daraus zumindest ihre Konsequenzen. Sie haben den Qualen den Rücken gekehrt und sich verpuppt. Nun sind sie froh, dass sie durch uns die Möglichkeit bekommen, ein zweites Leben in Schönheit zu führen – zumindest die meisten von ihnen.«
    »Und die … anderen?«, fragte ich, und wir wussten alle, von welchen Seelen ich sprach. Die Kalten, die Bösen, die sich oben auf der Vitrine sammelten – und die mir jetzt, nachdem ich ihre wahre Natur gesehen hatte, erst recht Angst machten. Am liebsten hätte ich das Puppenzimmer nie wieder betreten.
    »Bedauerliche Fälle«, sagte Rufus. »Sehr bedauerlich. Die verpuppten Seelen brauchen Zeit, um sich zu erholen. Sie lassen die Schrecken und Strapazen des Lebens hinter sich, und wenn sie bereit sind, zu schlüpfen, ist jede Erinnerung an ihr altes Leben vergangen. Sie haben keine Namen mehr, keinen Sinn oder Gedanken: Sie sind nur reine, rohe Seelen, und sie wollen leben, sonst nichts. Aber manchmal, während der Chrysalis, kommt es vor, dass eine Seele von ihren eigenen Schrecken verschlungen wird. Hass und Angst vergiften sie, und was am Ende herauskommt … Nun, sagen wir, es ist nichts, womit eine Fee sich einen Körper teilen möchte.«
    Ich nickte still. Das zumindest konnte ich mir sehr gut vorstellen. Ich hatte es gespürt, diesen unbändigen Hass auf alles, was lebte. Vielleicht sollte ich diese Puppen nicht fürchten, sondern Mitleid mit ihnen haben, aber ich traute mich nicht, mich zu erkundigen, was mit ihnen geschehen würde. Wenn ich jetzt nachfragte und Rufus mir dann den Auftrag gäbe, sie zu beseitigen – ich könnte das nicht tun, trotz allem. Solange ich sie nur für leblose Puppen gehalten hatte, wäre das vielleicht noch etwas anderes gewesen. Aber jetzt … Ich konnte doch nicht einfach eine Seele zerstören! Besser, sie blieben erst einmal auf dem Schrank, und wir sprachen nicht weiter von ihnen …
    »Danke«, sagte ich. »Ihr Vertrauen bedeutet mir sehr viel. Dass Sie mich eingeweiht haben, dass Sie bereit sind, Ihr Geheimnis mit mir

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