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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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Ich war warm und geborgen, aber ich wusste, dass etwas nicht stimmte.
    »Machen Sie sich keine Sorgen, Miss Marmon«, sagte die Frau, die in der offenen Tür stand. »Die Kleine ist bei mir gut aufgehoben. Mein George und ich haben uns so sehr ein Kind gewünscht, wir sind keine reichen Leute, aber das Wichtigste ist ein liebevolles Heim, nicht wahr?«
    Ich sah die andere Frau schlucken, ihr Kehlkopf hüpfte auf und ab. »Ich gebe sie wirklich nicht gern aus der Hand, Mrs. Harding, aber ich hab keine andere Wahl … Es soll auch nicht für immer sein, eines Tages werde ich für sie sorgen können …« Ihre Stimme zitterte, als stünde sie kurz davor, in Tränen auszubrechen.
    »Wirklich, Sie müssen sich nicht entschuldigen«, sagte Mrs. Harding. »Sie sind doch nicht die erste Frau, der so ein Malheur passiert, und dass Sie an der Kleinen hängen, sehe ich doch, sonst hätten Sie nicht auf meine Anzeige geantwortet … Wenn ich daran denke, wie viele Frauen in Ihrer Situation ihr Kind einfach aussetzen, schutzlos bei Wind und Wetter, oder schlimmer noch, die Geschichten, die man so hört …«
    Die jüngere Frau schluchzte auf. Sie hieß Miss Marmon, aber so wollte ich sie nicht nennen – Mutter, das war ihr richtiger Name. »Aber dass ich sie Ihnen jetzt einfach so geben muss, hier auf der Türschwelle, dass ich noch nicht einmal hereinkommen darf …«
    »Glauben Sie mir, das ist das Beste«, sagte Mrs. Harding. »Sonst wird es nur noch schwerer für Sie, und am Ende wollen Sie sich gar nicht mehr von ihr trennen. Aber Sie wissen, dass Sie sich nicht um sie kümmern können, nicht so wie wir. Haben Sie das Geld mitgebracht?«
    »Hier in dem Karton sind ihre Kleider«, sagte Mutter mit zitternder Stimme. »Aber das Geld … muss es wirklich alles auf einmal sein? Ich könnte monatlich etwas schicken, oder auch jede Woche, ganz wie Sie wünschen, aber zehn Pfund auf einen Schlag, das ist so viel Geld für mich, Sie kennen doch meine Situation –«
    »Es tut mir leid, aber das muss sein«, sagte Mrs. Harding. »Ich will Ihnen doch nichts Böses, aber ich kenne Sie nicht, und woher soll ich wissen, dass Sie nicht gleich verschwinden und ich nie wieder von Ihnen höre, und dann fehlt mir das Geld, die Kleine zu versorgen … Es sind harte Zeiten, nicht nur für Frauen wie Sie, und alles, was ich über Sie weiß, ist, dass Sie mit sich selbst nicht verantwortungsvoll umgegangen sind. Deswegen habe ich keine Wahl, als auf sofortige Zahlung zu bestehen. Dafür können Sie aber sicher sein, dass es der Kleinen an nichts mangeln wird bei mir und meinem George, wir werden für sie sorgen, als wäre sie unser eigenes …«
    Dann wurde ich hochgehoben, meine Mutter hielt mich im Arm, drückte mich an ihre Brust, küsste mich ein letztes Mal auf die Stirn und flüsterte: »Es ist nicht für lang, ich komme dich bald holen, versprochen!«
    Dann nahm Mrs. Harding mich aus ihren Armen und trug mich ins Haus … und ich erwachte schweißgebadet und wusste im gleichen Moment, dass, was immer ich da geträumt hatte, nicht mein eigener Traum gewesen war und die junge Frau nicht meine eigene Mutter. Für mich hatte es keine Mrs. Harding gegeben, die mich für etwas Geld in Pflege nehmen mochte, und keine Mutter, die bereit war, all ihre Ersparnisse für mein Wohlergehen auszugeben. Alles, was es für mich gegeben hatte, waren eine Türschwelle, ein paar schmutzige Windeln und ein Medaillon ohne Namen … Ich rollte mich unter meiner Bettdecke zusammen, drückte das Gesicht in die Kissen und weinte stumm, bis ich keine Luft mehr bekam und keine Tränen mehr hatte, und ich verfluchte denjenigen, der mir diesen Traum geschickt hatte, als wollte er mich damit verhöhnen.
    Ich versuchte zu verstehen, was dieser Traum mit mir zu tun hatte, aber er schien einfach falsch abgebogen und bei der Person gelandet zu sein, die ihn am wenigsten verdient hatte – mir. Aber ich konnte nicht lange darüber nachdenken. Mein eigenes Elend packte mich und hielt mich in seinen eisernen Klauen. Ich war einsam und verlassen und hatte niemanden, der mich jemals geliebt hatte auf der ganzen Welt …
    Und dann berührte mich etwas sanft bei der Schulter. »Florence!«
    Ich antwortete nicht, drückte mich nur noch tiefer in mein Kissen, damit es alle Geräusche erstickte. Ich hatte gerade den einen Traum mehr schlecht als recht überstanden, da wollte ich nicht gleich vom nächsten vorgeführt werden, aber die Hand an meiner Schulter verschwand nicht, und die

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