Das Puppenzimmer - Roman
gebrochen. Dann war ich eine von ihnen. Dann konnte ich gehen, wohin ich wollte. Und wenn ich am Ende die Puppen an einer Kirchenpforte aussetzen würde, mit einem Brief dabei, was sie in Wirklichkeit waren … irgendwie konnte ich ihnen schon helfen. Es gab so viele Möglichkeiten – eine einzige würde schon ausreichen.
Doch ich verkroch mich nicht in meinem Zimmer, um ein Tagebuch zu führen. Ich hatte es versucht, aber was sollte ich hineinschreiben? Über mein Leben, bevor ich nach Hollyhock kam, gab es nichts zu berichten. Was ich gedacht hatte, was mich berührte – das alles hatte ich aus der Zeitung, aus Büchern, lauter Sachen, die ich als Fee noch einmal würde lesen können, wenn ich unsterblich war und alle Zeit der Welt hatte. Was ich war, wo ich herkam, das würde die Fee in mir besser wissen. Und kein Tagebuch konnte beschreiben, wer ich war. Meine Seele ließ sich nicht in Buchstaben pressen. Ich nutzte die Zeit zum Träumen, oder versuchte es zumindest.
Konnten Feen träumen? Ich wusste es nicht, aber ich hatte Angst, dass dem nicht so war. Warum sonst waren sie auf die Träume der Sterblichen angewiesen? Meine Seele würde mir bleiben, irgendwo in der Tiefe meines Körpers, auch als Fee konnte ich nicht ohne sie leben. Aber meine Träume, die würden verschwinden. Wenn ich mir vorstellte, dass ich erst in Hollyhock begonnen hatte, wirklich im Schlaf zu träumen, war das schon fast ironisch. Vielleicht lag es am Feenfeuer, das irgendwo unter mir brannte, oder an den Feen im Haus: Ich stellte mir vor, wie sie nachts an meinem Bett standen und vorsichtig feinste Fäden von Traumseide aus meinem Haar zupften. Ich wollte versuchen, solange ich es noch konnte, alle Träume, die mein Menschenleben für mich bereithielt, zu träumen, egal ob sie gut ausgehen mochten oder böse.
Aber ich bekam sie nicht zu fassen. Es lag vielleicht daran, dass ich nicht mehr so einfach müde wurde und schlafen gehen konnte wie früher – ich war wach, solange ich wollte, und wenn ich beschloss, dass es an der Zeit war, zu schlafen, legte ich mich ins Bett, schloss die Augen, und schlief. Was fehlte, war diese wunderbare Phase zwischen Wachen und Schlafen, wenn ein Traum ankam, einen Knicks machte und sich vorstellte, und man vorsichtig um ihn herumgehen und ihn von allen Seiten betrachten konnte, bevor man in ihn eintrat wie in einen Garten oder einen Süßigkeitenladen. Mir war nie aufgefallen, wie wichtig diese Phase war, die einen Traum umgab wie den Mond sein Hof, aber ohne sie war ich nicht mehr in der Lage, mich hinterher an meine Träume zu erinnern.
Trotzdem, ich versuchte es. Auch wenn mein Bewusstsein sich die Träume nicht merken konnte, vielleicht blieb in einem Eckchen meiner Seele eine Spur von ihnen zurück. Ich selbst wurde jedenfalls irgendwann wach und war völlig erholt an Körper und Geist. War dies die Art, wie Feen schliefen?
Aber nicht nur mein Schlaf begann sich zu verändern. Ich konnte noch essen, auch wenn ich kaum Hunger verspürte, und wenn ich aß und trank, kam der Rest auch irgendwann da wieder heraus, wo er sollte – ob das bei Feen noch der Fall war, wusste ich nicht, es war eine von den Sachen, nach denen man nicht fragen konnte. Aber wenn ich eins nicht vermissen würde, dann meinen Nachttopf … So vertrieb ich mir die Zeit, ohne die Tage zu zählen, und nahm Schritt für Schritt meinen Abschied von der Welt der Menschen. Vor allem aber plante ich, wie ich aus dem Menschenleben scheiden wollte.
Es sollte im Garten stattfinden – nicht nur deswegen, weil ich ihn lieber mochte als das Haus, sondern auch, weil es deutlich einfacher war, mich dort mit Alan zu treffen als drinnen. Der Irrgarten bot sich an; er war abgeschieden, und in seinem Zentrum konnte uns niemand beobachten. Vor allem aber hatten Alan und ich dort unser Picknick abgehalten, und genau das sollte es werden: ein Picknick. Aber eines, das seinesgleichen suchen würde.
Keine gemopsten Pasteten, die eigentlich nur noch Schweinefutter waren. Es sollte ganz und gar großartig und feierlich sein, schon damit ich an seinem Ende als eine Fee aufstehen konnte, wunderschön und würdevoll, und mich nicht schämen musste, an was für einer armseligen Tafel ich gerade gesessen hatte. Es würde nicht ganz einfach werden, alle Zutaten zusammenzubekommen, aber ich hatte schon eine Idee, wie ich das anstellen würde.
Das andere, was ich tat, war, ganz beiläufig Wissen über Miss Lavender zusammenzutragen. Ich würde, ob ich
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