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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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Stimme ungehört geblieben? Ich würde es nie erfahren. Aber eines wusste ich: Die Feen hatten sich an diesen Kindern versündigt, und auch an deren Müttern. Nur eine Fee konnte versuchen, das auch nur ansatzweise wiedergutzumachen. Als Mensch konnte ich Rache üben, aber nur als Fee konnte ich büßen.
    Es war ungerecht; nicht mein eigenes Verbrechen stand angeklagt vor dem Weltgericht, aber so wie alle Feen davon profitieren sollten, dass Miss Lavender ihnen neue Seelen besorgt hatte, mussten nun auch alle Feen mit dieser Schuld leben. Aber was war Schuld für jemanden, der meinte, über Schuld und Unschuld zu stehen? Ich war anders, das wusste ich, und ich würde es auch als Fee bleiben. Blanche hatte eine Seele bekommen, die leer war und kraftlos – sie konnte der Fee, mit der sie sich den Körper teilen musste, nichts entgegensetzen, und ebenso war sie verloren gewesen gegen den Angriff einer hasserfüllten Seele, die in ihrem Zorn kein anderes Ziel kannte, als alles Leben zu ersticken. Meine Seele würde immer ein Teil von mir bleiben, kein Fremdkörper, und wenn ich sie auch vergessen sollte, sie selbst würde sich schon wieder bemerkbar machen.
    Das war meine Hoffnung. Und mit diesen Gedanken konnte ich es wagen, endlich die entscheidenden Schritte in die Wege zu leiten.
    Wie viel Zeit verging, bis ich so weit war, mein altes Selbst hinter mir zu lassen, konnte ich nicht sagen. Ich war schon zu sehr Fee, als dass ich die Tage noch zählte, und angesichts der Tatsache, dass in Hollyhock ein Tag wie der andere war, es keine Sonntage gab und damit auch keine Wochen, und selbst am Garten die Monate so spurlos vorbeizogen, dass jenseits der Mauern tiefster Winter hätte herrschen können, wusste ich nicht einmal mehr, wie alt ich eigentlich war. Wie treffend: Niemand konnte sagen, wann genau ich geboren worden war, und so wie der Anfang meiner sterblichen Tage im Nebel lag, galt das nun auch für ihr Ende. Aber irgendwann erkannte ich, dass ich alle Gedanken gedacht hatte, die ich noch denken wollte, dass ich alle schönen und alle schlimmen Träume erlebt hatte, und ich mochte mich noch so sehr an meiner Vergangenheit festklammern, meine Hände waren bereit, loszulassen. Es war an der Zeit für mein Picknick.
    Erst hatte ich überlegt, es ganz geheim zu machen, aber dann entschied ich mich doch dagegen. Es sollte alles seine Ordnung haben. Also ging ich zu Violet.
    »Ah, Florence, Liebes«, sagte sie, und in ihrer Stimme war kein Hinweis mehr darauf, dass sie Blanche verloren hatte – Blanche, von der ich glaubte, dass sie in einer anderen Welt Violets Tochter gewesen war. »Du kommst, um mir zu sagen, dass du so weit bist?« Sie las nicht meine Gedanken, das wusste ich inzwischen. Sie konnte es, aber ich fühlte, wenn sie es tat, und da sie das wusste, unterließ sie es. Seit ich erklärt hatte, eine Fee werden zu wollen, stellte sie mir diese Frage, wann immer wir aufeinandertrafen. Doch anders als sonst nickte ich diesmal.
    »Das bin ich«, sagte ich. »Aber ich will es auf meine Art machen, und ich wollte Sie fragen, ob Sie bereit sind, mir bei meinen Vorbereitungen zu helfen.«
    Violet hob erstaunt eine Augenbraue, ohne dass ihr Lächeln dabei verrutschte. »Vorbereitungen?«, fragte sie. »Du hattest so viel Zeit, um dich vorzubereiten – soll ich nicht einfach den Wein holen und einen Kelch, du nimmst Platz auf dem Sofa und lässt dir von mir den letzten Schritt erleichtern?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Das Angebot weiß ich zu schätzen«, sagte ich, »aber ich will dabei allein sein. Wenn Sie mir etwas von dem Wein mitgeben könnten, vielleicht in einer Phiole oder einer kleinen Flasche –«
    Violet lachte. »Du kannst es nicht vortäuschen, das weißt du«, sagte sie. »Ein Blick auf dich reicht, um uns zu sagen, ob du nur ein Wechselbalg bist oder eine ganze Fee.«
    »Das weiß ich«, sagte ich und lächelte verlegen. »Und Sie müssen auch keine Angst haben, dass ich Sie da unterschätze. Den Wein werde ich wirklich trinken. Aber ich … Ich will dabei so tun, als ob ich ein Picknick veranstalte. Ich möchte eine schöne Decke haben und Gläser und leckere Sachen zum Essen und Kerzen und Wein, und dann, am Ende des schönsten Tages meines Lebens, wenn die Sonne untergeht, will ich ganz feierlich den Feenwein trinken. Damit ich weiß, dass ich es aus freien Stücken tue, dass ich wirklich bereit bin, eine Fee zu werden.«
    »Ein Picknick?«, wiederholte Violet. »Wo denn, etwa hier im

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