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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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Namen?«
    Ich lachte nur als Antwort. Sie konnte nicht erwarten, dass ich ihr den jetzt verriet, dafür lag zu viel Macht darin. »Ich bin erwacht«, sagte ich. »Ich weiß alles.« Dieses Gefühl, als hätte jemand einen Schleier von meinen Augen gezogen und ihn dafür über mein Herz gebreitet – wie sehr hatte ich mich nach diesem Gefühl der Klarheit gesehnt. Das arme Mädchen, so verblendet durch seine trügerischen Gefühle, es war kein Wunder, dass sein Leben gänzlich freudlos verlaufen war. »Sagt mir nur eine Sache«, bat ich, »muss ich weiterhin den Namen Florence tragen? Alle Welt verbindet ihn mit dem Mädchen, und überhaupt – warum dieser Name?«
    Violet winkte mich näher heran, dann sagte sie leise: »Um dich zu schützen. Sie war so sehr auf der Suche nach sich selbst – wäre ihr zur Unzeit dein wahrer Name eingefallen, und sie hätte ihn unwissend ausgeplaudert, du hättest uns das niemals verziehen. Mit dem neuen Namen war sie beschäftigt, und indem ich es war, von dem sie ihn erhalten hat, konnte sie auf keine Frage nach ihrem Namen anders antworten als mit › Florence ‹ . Das machte die Dinge einfacher.«
    »Danke«, sagte ich. »Ich hatte so etwas schon vermutet. Aber ich denke nicht, dass ich deswegen in Eurer Schuld stehe. Ich habe vieles geleistet, das Ihr ohne mich niemals hättet erreichen können.«
    »Zum Beispiel, meine Tochter zu töten«, sagte sie leise und zornig. Sie hatte dem Mädchen niemals Vorwürfe gemacht, aber es war ein riskantes Spiel, auf das ich mich da einließ. Indem ich die Verdienste des Mädchens für mich beanspruchte und vorgab, wir wären ein und dieselbe Person gewesen, nahm ich gleichzeitig seine Schuld auf mich, und was immer man ihm gesagt haben mochte darüber, dass Feen alles Unerwünschte sofort wieder vergaßen, gab es doch auch Dinge, die für alle Zeiten unverzeihlich blieben: Dazu gehörte, den Tod einer Fee verursacht zu haben, und wenn es sich dabei auch noch um die jüngste Tochter der Königin handelte, war das etwas, für das ich auch in tausend Jahren noch verbannt werden konnte. Wenn es denn meine Schuld war. Jeder wusste, dass sich Blanche eigenständig aus dem Leben entfernt hatte, und wenn jemandem außer ihr eine Schuld zuzuweisen war, dann höchstens Violet selbst, die nicht hatte abwarten können, das verwöhnte kleine Ding wieder um sich zu haben.
    »Darüber werden wir ein andermal sprechen«, erwiderte ich. »Aber ich bin nicht hier, um mir Eure Anschuldigungen anzuhören. Vergesst nicht, dass Ihr mich nötig habt.«
    Violet schwieg. Dann sagte sie: »Ich werde Rufus hinzurufen. Es gibt Dinge zu besprechen, jetzt, wo wir unter uns sind.«
    Ich nickte. Damit hatte ich gerechnet. Es gab zu vieles, das Violet dem Mädchen nicht hatte sagen können und das ich doch erfahren musste. »Soll ich hier auf ihn warten?«, fragte ich. »Oder wünscht Ihr, erst unter vier Augen mit ihm zu reden?«
    »Mein liebes Kind«, sagte Violet, und ihr Tonfall war unmissverständlich. »Ich habe es Florence oft genug deutlich gemacht, aber offensichtlich nicht deutlich genug, als dass es dabei auch bei dir angekommen wäre. Du bist nicht in der Position, mir Vorschläge zu machen. Ich sage dir, was du zu tun hast und was zu lassen, und wann und was ich mit meinen Untergebenen berede, hat dich nicht zu interessieren. Du hast mir nicht die Stirn zu bieten, sondern die Arbeit zu tun, die ich dir auftrage. Oder haben dich die Jahre unter den Menschen vergessen lassen, was und wo dein Platz ist?«
    »Wie Ihr wünscht«, sagte ich, aber ich meinte es nicht. Was Violet mir zu verstehen gab, war noch nicht einmal, dass ich ihren Rang zu respektieren hatte, sondern vor allem, dass ich für sie, selbst jetzt, selbst nach meinem Erwachen, immer noch das war, als was sie mich von Anfang an gesehen hatte: ein Wechselbalg. Ich würde nie eine Wahre Fee sein. Ich konnte wie eine aussehen und mich wie eine fühlen, aber uns würden immer Welten trennen. Wenn ich nicht meinen Feenkörper verloren hätte, nachdem die Reiche gespalten wurden … Eigentlich sollte es hier andersherum sein. Dies war meine Welt, nicht Violets. Ich stand vor ihr in einem Körper, in dem ich geboren worden war und den nicht Rufus aus einem frischen Grab hatte rauben müssen. Wenn sich hier jemand vor der anderen verneigen sollte, dann war das Violet. Aber alles, was ich sagte, war: »Was Ihr wollt.« Feen und Gerechtigkeit waren wie der Mond und ein Apfel: Nicht verfeindet, aber einander

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