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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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viel ich. Die Welt um mich herum begann, an den Rändern etwas zu verschwimmen, und ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich das mochte oder nicht. Aber entweder hatte der Wein mich kühn gemacht, oder ich war so wild entschlossen, dass ich keine Furcht mehr kannte, jedenfalls fragte ich leise: »Alan … darf ich meinen Kopf in deinen Schoß legen?« Und dann, ohne seine Antwort abzuwarten, tat ich es.
    Über mir drehte sich der Himmel um eine einzelne Wolke. Um mich war es warm und gemütlich, und ich roch nicht mehr die Eiben oder das Essen, sondern Alan. Er roch so gut. Wenn ich schon aus der Menschenwelt gehen musste, dann mit diesem Geruch in der Nase, dass ich immer wissen würde, dass ich nicht alleine war. Es stimmte, ich war grausam zu Alan, und ich liebte ihn nicht, sonst hätte ich mich vielleicht anders entschieden, aber es änderte nichts daran, dass ich ihn gernhatte.
    Alan schien erst nicht so recht zu wissen, was er mit dem Mädchen in seinem Schoß anfangen sollte, aber dann fing er vorsichtig an, mir über den Kopf zu streicheln, Haar um Haar von meiner Wange zu schieben; seine Hand fand mein Ohr und strich mit dem Finger die Schnörkel entlang. Ich erstarrte vor Wonne. Dieser Moment durfte niemals enden, niemals.
    Ich lag da und rührte mich nicht. Auf der einen Seite wünschte ich mir, dass er mich doch noch küssen würde, diesen einen Kuss, ohne den kein Mensch aus dieser Welt scheiden sollte. Ich beschloss, das eine Mal, wo Blanche mich geküsst hatte, nicht zu zählen, weil dieser Kuss so kalt gewesen war und nicht wirklich angenehm, aber auf der anderen Seite hatte ich auch Angst, dass ich dann ausgerechnet Alans Kuss als Allererstes vergessen würde, und war dafür der erste Kuss des Lebens nicht zu kostbar? So hoffte ich nur, dass Alan nicht müde werden würde, mein Ohr zu streicheln. Sein anderer Arm lag auf meinem und hielt mich fest, ein Zeichen, dass auch er nicht wollte, dass ich jemals wieder aufstand.
    »Möchtest du noch etwas Wein?«, fragte er.
    »Aber der ist doch alle«, antwortete ich, ohne aufzublicken, mein Auge auf die leeren Gläser gerichtet.
    »Du hast noch den Weißen, hast du den vergessen?«, sagte Alan. »Es tut mir leid, dass ich den Roten nicht so in Ehren gehalten habe, wie du es verdient hattest, aber das können wir mit dem Weißen wiedergutmachen, meinst du nicht?«
    Ich nickte. »Aber ich mag nicht aufstehen«, murmelte ich. »Du musst ihn mir einflößen, tust du das?«
    Alan lachte. »Nein, du musst schon selbst den Kopf heben, sonst ruiniere ich dir dein Kleid.«
    »Dann ziehe ich es eben aus«, hörte ich mich sagen und fragte mich, ob ich nicht doch zu weit ging. Wollte ich das wirklich? Eigentlich nicht, aber vielleicht nach noch einem Glas Wein oder zweien …
    Seine Hand strich sanft über meine, dann richtete er mich vorsichtig auf. »Du bist die Gastgeberin, du schenkst ein«, sagte er, und ich musste kichern und wusste nicht, warum.
    Aber ich nahm die Karaffe, hielt sie gegen das Licht und erfreute mich an der Farbe irgendwo zwischen Blassgelb und Gold, und dann schenkte ich uns die Gläser voll. »Auf die Feen«, sagte ich feierlich, »und auf die Menschen, und auf uns.« Dann tranken wir.
    Ich fühlte, wie ich ruhig wurde, wie mein Atem sich verlangsamte und sich die feinen Härchen auf meinen Armen eines nach dem anderen wieder legten. Ich neigte den Kopf, blickte Alan an und lächelte, während ich fühlte, wie langsam, ganz langsam die Wirkung eintrat. Ich sah, wie er zurücklächelte. Er wusste nicht, was ich getan hatte, und er würde es auch niemals erfahren.
    Der Flakon, der unbeachtet irgendwo hinter uns im Gras lag, enthielt echten Feenwein, doch er war nur zur Ablenkung da. Ich hatte niemals vorgehabt, davon zu trinken. Zum Trinken war der, den ich in die Karaffe Weißwein gemischt hatte. Eine Dosis für eine Fee. Und eine zweite für einen Menschen, der alles vergessen sollte.

Neunzehntes Kapitel
    Ich wartete eine Weile, ehe ich mich erhob, und versuchte, die Signale meines Körpers richtig zu interpretieren. Das Mädchen hatte viel Wein getrunken, man durfte ihm das nicht zum Vorwurf machen, aber ich konnte in diesem Augenblick keinen Rausch gebrauchen und schüttelte ihn ab. Beinahe war es schade um die Mühen, dieses Picknick vorzubereiten, und um den guten Wein; ich musste sagen, das Mädchen hatte alles richtig gemacht, es hätte ein Lob verdient, aber das würde nun seinen Empfänger um eine Ewigkeit verfehlen. Ich lächelte.

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