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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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Hausmädchen. Mir fehlte das Häubchen, natürlich, und ich hätte viel für einen Staubwedel gegeben, aber ich musste eben ohne auskommen. Vorsichtig nahm ich das Tuch vom Tisch an zwei Ecken und legte es so zusammen, dass der Staub darin eingeschlagen wurde und sich nicht über mich und das ganze Zimmer verteilte. Meine Vorsicht war eigentlich unnötig: Was an Staub da war, saß fest im Stoff, aber ich war doch lieber ordentlich. Meine Lehrerin wäre so stolz auf mich gewesen! Da hatte ich mich drei Jahre mit der Frau herumgeschlagen, weil sie wollte, dass ich kochen und nähen und hauswerken lernte, während ich lieber die Zeit damit verbringen wollte, meine Bücher zu lesen – und jetzt ging ich ganz emsig zur Sache, faltete Laken und legte sie auf einen sauberen Stapel, als wäre das mein ganzer Lebensinhalt. In diesem Moment war ich froh, dass Rufus mich auserwählt hatte. Ich hätte so etwas nicht jeden Tag tun mögen, aber mit der Vorstellung, dass dieses Reich mir gehörte, machte es Spaß. Dabei fragte ich mich, wie lange es wohl dauerte, bis Stoff derart einstaubte. Vor drei Monaten sollte Miss Lavender gestorben sein? War das nicht ein bisschen wenig? Oder wann war das Zimmer versperrt worden?
    Mehr und mehr Puppen kamen zum Vorschein. Sie standen auf dem Tisch, sie saßen auf dem Sofa. Sie füllten die Vitrine. Sie hockten, aufgereiht wie die Perlen an einer Schnur, auf dem Kaminsims. Wenn Miss Lavender es gewollt hätte, sie hätte in jedes einzelne Zimmer ein Dutzend Puppen setzen können, aber stattdessen waren alle hier versammelt – oder aber die Erben hatten das getan, froh, die vorwurfsvollen Glasaugen zumindest nicht beim Essen sehen zu müssen.
    Ich zählte die Puppen nicht, es waren einfach zu viele. Ob es jetzt 200 oder 300 waren, machte keinen Unterschied: Man hätte nicht weniger als drei Waisenhäuser damit glücklich machen können. Dass Mädchen mit Puppen spielten, konnte ich ja noch irgendwie verstehen, Puppen gaben keine Widerworte und zogen einen nicht an den Zöpfen. Aber warum eine alte Frau ihr Haus mit ihnen vollstopfen sollte … Nein, die reichen alten Leute mussten sich schon selbst verstehen, ich tat es nicht. Das Bedauern, keine eigenen Kinder bekommen zu haben, rechtfertigte vielleicht ein oder zwei Puppen. Aber für 200 Kinder hätte sie schon eine Bienenkönigin sein müssen.
    Durfte ich die Puppen vom Tisch irgendwo hinräumen? Und wenn ja, wo war noch Platz? Ich versuchte, mich genau zu erinnern, was Rufus und Violet gesagt hatten – nur eine Puppe am Tag … Aber ich wollte sie ja nicht untersuchen oder beschreiben, nur von hier nach dort räumen. Und wenn sie auf dem Fußboden sitzen mussten, den Tisch wollte ich haben; und wenn auf dem Sofa kein Platz für mich war, und im Sessel ebenfalls nicht, mussten mir die Molyneux-Geschwister eben auch noch einen Stuhl spendieren.
    Trotzdem, ich zögerte, ehe ich auch nur eine Puppe anfasste, und verschob die Entscheidung auf später, indem ich beschloss, mich erst einmal um die Laken zu kümmern. Sie waren zwar jetzt zusammengefaltet, aber so auf dem Boden, in einem Mittelding zwischen Haufen und Stapel, konnten sie nicht bleiben. Ich wollte, dass das Puppenzimmer nicht mehr so sehr nach Leichenhalle aussah, und dazu musste dieser ganze Stoff verschwinden, besser jetzt als später, denn jetzt ließ er sich noch durchs Haus tragen, ohne dass mich jemand dabei erwischte. Ich konnte schließlich schlecht mit dem ganzen Berg unten bei Mrs. Arden oder Lucy oder der Köchin erscheinen, ohne dass Fragen aufgekommen wären. So wollte ich die Tücher erst einmal in meinem Zimmer verstecken und sie dann nach und nach in die Wäsche schmuggeln.
    Ich hatte zu wenige Hände. Waisen- und Dienstmädchen hätten gut daran getan, mit Oktopussen verwandt zu sein – es war jedenfalls ein Ding der Unmöglichkeit, sowohl den ganzen Tücherstapel als auch die Lampe zu tragen. Wenn ich versuchte, die Laken auf einer Hand zu balancieren, drohten sie mir zu entgleiten … Es half nichts. Ich musste die Lampe löschen, um sie mitnehmen zu können, und mich wieder auf meinen Tastsinn verlassen. Vielleicht wurde es draußen schon langsam hell, aber davon merkte ich nichts; durch die dicken Vorhänge fiel ja nichts herein. Aber auch im Flur und in der Halle kam es mir nicht heller vor. Ich war wohl nicht nur ein Wunder an Fleiß gewesen, sondern auch schnell dabei vorangekommen. Gut, ich hatte nicht versucht, auch noch die Teppiche zu klopfen

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