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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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verirrte, ihn nicht herumliegen sah und heimlich einsteckte – aber wo? Endlich fiel mir wieder ein, dass ich ihn in meinem Wasserkrug versenkt hatte. Mit Gänsehaut bis zum Ellbogen fischte ich ihn wieder heraus, und als mir ein Blick aus dem Fenster verriet, dass es immer noch genauso dunkel war und mitnichten schon der Morgen dämmerte, machte ich mich klopfenden Herzens auf den Weg ins Puppenzimmer.
    Einen Moment lang hoffte ich, ich würde im Dunkeln das Schlüsselloch nicht finden. Oder dass die Tür sich nicht öffnen ließe. Aber als hätte jemand das Schloss frisch geölt, glitt der Schlüssel hinein und drehte sich fast von selbst, ohne dass ich viel tun musste. Lautlos schwang die Tür auf, und dieser bestimmte Geruch, der für mich von nun an immer zu den Puppen gehören sollte, schlug mir entgegen – ein bisschen wie Zimt und Staub und Vanille und die Blumen, die auf einem Friedhof wuchsen, weiß wie die Gesichter der Puppen. Es hatte nicht so gerochen, bevor ich das Tuch von der Kommode genommen hatte.
    Im Zimmer war es deutlich schwerer, mich zurechtzufinden, weil so viel herumstand. Selbst wenn alles mit Tüchern abgedeckt war, blieb das Zimmer vollgestopft. Ich hatte die Zündhölzer auf einem der Kerzenhalter liegen lassen – auch hierfür wäre eine Tasche praktisch gewesen – und fand sie erst im dritten Anlauf. Die Kerzen zündete ich nicht an – ich wollte die Augen der Puppen lieber erst wieder sehen, wenn es Tag war –, aber ich nahm die Streichholzschachtel und die Petroleumlampe mit; anzünden konnte ich sie dann auf dem Flur. Als meine Hand die Puppen streifte, wurde mir kalt, und einen Moment lang bereute ich zutiefst, wieder hergekommen zu sein, aber ich schluckte die Angst hinunter, schnappte mir die Lampe und machte, dass ich davonkam. Fast hätte ich vergessen, wieder abzuschließen, aber endlich stand ich da, mit einer Zündholzschachtel, einem Schlüssel und einer Lampe, alle Hände voll, bereit, mein neues Heim zu erkunden. Hollyhock war voller Geheimnisse. Und ich würde sie, eines nach dem anderen, aufspüren.
    Nur wo sollte ich anfangen? So ein großes Haus, so viele Zimmer … Im ersten Stock musste ich aufpassen, denn dort waren die Schlafzimmer von Rufus und Violet, und ich wusste nicht, welche das waren. Es gab dort ein halbes Dutzend Türen, die mich natürlich alle sehr interessierten, aber ich wollte mich nicht plötzlich den Herrschaften gegenübersehen, noch dazu im Nachthemd. Und im zweiten Stock war es genauso, da lagen die Zimmer der Dienstboten. Am besten war es, ich fing im Keller an. Der würde am ehesten wieder zum Leben erwachen, irgendwann gegen sechs Uhr musste es in der Küche mit den Vorbereitungen losgehen, wenn es hier auch nur halbwegs so ähnlich zuging wie in St. Margaret’s – wenn der Ofen nicht rechtzeitig angefeuert wurde, hatten die Herrschaften für ihre Morgentoilette kein warmes Wasser, ganz zu schweigen davon, dass das Frühstück zubereitet werden musste. Und da ich oft genug mit dem Küchendienst dran gewesen war, eine von Mrs. Huberts stets wechselnden Sklavinnen, hatte ich einige Vorstellungen davon, wie dann gewirbelt wurde. Aber jetzt schlief noch alles, und ich konnte in Ruhe spionieren.
    In der einen Hand hielt ich meine Lampe, die sich nicht gut greifen ließ, weil sie dafür gemacht war, auf einem Bord oder Tisch zu stehen, und ich hatte schon Angst, sie würde zu heiß werden und mich verbrennen, aber erst einmal ging es einigermaßen. In der anderen waren Schlüssel und Zündhölzer, bis ich auf die Idee kam, auszunutzen, dass das Kleid gereffte Ärmel hatte. Da konnte ich zumindest die kleinen Dinge hineinstecken, ohne dass es auffiel. Anschließend ging es auch mit der Lampe besser, weil ich zwei Hände zur Verfügung hatte. Aber wenn mich jemand so gesehen hätte, in dem weißen Kleid, die schwarzen Strümpfe und Schuhe unsichtbar in der Dunkelheit, und dann auch noch mit dem Licht in der Hand … Ich musste aussehen wie Florence Nightingale als Geist. Florence, französisch ausgesprochen, das klang schöner – wie hieß die Nachtigall auf Französisch? Hätte jemand mich gesehen, er hätte ein Gespenst erblickt, das sich gerade über sich selbst totlachte.
    Es dauerte etwas, bis ich die Treppe ins Untergeschoss fand. Sie gehörte zum Dienstbotentreppenhaus, über das man vom Keller bis in den zweiten Stock gelangen konnte, ohne dabei von den Herrschaften gesehen zu werden, die sicher nicht wild darauf waren, ihren

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