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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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das sie sich gewünscht haben mussten. Ich brachte kaum ein Wort heraus oder einen Bissen hinunter, und das, obwohl ich seit den Honigbroten vom Vortag nichts mehr gegessen hatte. Aber der Schrecken der Nacht saß mir immer noch in den Knochen, und ich wurde ihn nicht los. Nachdem ich aus dem Puppenzimmer geflohen war und abgeschlossen hatte – mit solcher Gewalt, dass mir der Schlüssel beinahe abgebrochen wäre –, hatte ich den Rest der Nacht in meinem Zimmer am offenen Fenster gestanden, in den langsam erst violett und dann grau werdenden Garten gestarrt und versucht, wieder Herrin meiner selbst zu werden und zu begreifen, was da gerade passiert war.
    Eigentlich war die Antwort so einfach, wie eins und eins zusammenzuzählen. Es war mitten in der Nacht, ich war aufgeregt und übermüdet und hatte mir schlichtweg etwas eingebildet. Aber meine Ohren wurden dieses Lachen nicht mehr los. Es hatte so vergnügt geklungen, dass es mich eigentlich hätte anstecken müssen, statt mir in die Knochen zu fahren und sie schlottern zu lassen wie ein altes Gerippe. Ich konnte nicht sagen, ob ich ein Kind gehört hatte oder Hunderte, aber es war auch egal, denn da war niemand außer mir. Aber ein Kinderlachen klang auch nicht so anders, als wenn einem die Ohren klingelten … Ich versuchte alles, ich suchte mir Erklärungen, um nicht glauben zu müssen, was mir widerfahren war, rief mir ins Gedächtnis, dass ich nicht an Geister glaubte und all das nur Stoff aus einem Schauerroman war, aber es half nichts: Im Grunde meines Herzens wusste ich, dass ich mir das nicht eingebildet hatte. Irgendwo in Hollyhock, irgendwo im Puppenzimmer, hatte ein Kind gelacht, und das machte mir mehr Angst als jede weiße Dame, jeder Ahn mit dem Kopf in den Händen, jedes Skelett, das ich mir vorstellen konnte.
    Doch ausgerechnet jetzt, wo ich am liebsten gar nichts gesagt hätte, weil ich mich nicht lächerlich machen wollte, aber auch nicht wusste, was ich stattdessen hätte reden sollen, fand Violet, dass es an der Zeit war, Konversation zu treiben. »Noch Tee, Florence, Liebes?«, fragte sie, und beim Klang ihrer süßen Stimme lief es mir noch einmal kalt den Rücken hinunter.
    Wie schon am Vortag gab es nicht sonderlich viel zu essen: Auf den kleinen Tisch passte auch wirklich keine große Auswahl. Diesmal war es geröstetes Weißbrot mit Sirup und Orangenmarmelade, und ich – auch wenn es genauso gut schmeckte wie am anderen Tag – fing schon beinahe an, den grauen, pappigen Porridge von St. Margaret’s zu vermissen. Man hatte danach zwar das ungute Gefühl, ein gekochtes Lexikon gegessen zu haben, aber dafür war man anständig vollgestopft, dass es bis zum Abend vorhielt. Von den kleinen Broten konnte man nur winzige Bissen nehmen, und mehr als der allergröbste Hunger wurde dabei auch nicht gestillt. Ich machte ein tapferes Gesicht und knabberte an meinem Brot. Ob ich noch mehr Tee wünschte? Schaden konnte es jedenfalls nicht. »Oh ja, bitte«, sagte ich, und meine Stimme klang so piepsig, wie ich sie noch nie gehört hatte, außer wenn ich Miss Mountford nachmachte.
    »Heute wirst du mit deiner Arbeit beginnen«, sagte Rufus, für den das ganze Frühstück wohl Frauensache und Zeitverschwendung war; mehr als eine Tasse Tee hatte ich ihn noch nicht zu sich nehmen sehen. »Gibt es noch etwas, das du dafür benötigst, außer dem Schreibheft, das wir für dich vorbereitet haben?«
    Jetzt wäre die richtige Gelegenheit gewesen, nach einer Sitzgelegenheit zu fragen, aber ich traute mich nicht, den Mund aufzumachen, weil ich Angst hatte, es würde nichts anderes herauskommen als: » Bitte, zwingen Sie mich nicht, noch einmal in dieses entsetzliche Zimmer zu gehen! «
    So schüttelte ich nur den Kopf und tat so, als ob ich den Mund voll hatte, denn kein auch nur halbwegs gut erzogenes Mädchen würde jemals mit vollem Mund sprechen. Oder sich anmerken lassen, dass es Angst hatte. Aber ich fürchtete mich davor – mehr als jemals zuvor in meinem ansonsten doch furchtlosen Leben –, wieder zu den Puppen zu müssen. Ich hätte die Laken nicht entfernen dürfen. Jetzt hatte ich etwas freigelassen, das nicht frei zu sein hatte, und musste die Konsequenzen tragen.
    »Wenn etwas ist«, sagte Violet, und sie klang dabei so sanft, so aufmunternd, dass ich fast die Kontrolle über mich verloren und ihr alles erzählt hätte, »wenn dir etwas auffällt, wenn etwas nicht stimmt, sag es uns. Oder sag es mir. Deine Arbeit ist uns wichtig, und du bist

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