Das Puppenzimmer - Roman
schönen Teppich und die Marmorböden mit der Dienerschaft teilen zu müssen. Vielleicht hätte auch ich nicht einmal die große Treppe in der Halle benutzen dürfen, aber noch war ich kein Teil des Personals, und Rufus hatte mir ausdrücklich erlaubt, mich frei im Haus zu bewegen. Ich trug ja auch ein besonders schönes Kleid, auf dass mein Anblick überall eine Freude sei. Mit diesen Gedanken schlich ich also hinunter in den Keller.
Die Treppe war aus altem Holz und knarrte unter meinen Füßen, und ich fragte mich wieder, wie alt Hollyhock wohl sein musste. Hier unten brauchte ich nicht mehr zu schleichen, aber dafür ahnte ich schon, was mich erwartete – eine Speisekammer, die Küche und Spülküche, vermutlich der Speisesaal des Personals – nichts Aufregendes und erst recht nichts Geheimnisvolles, aber ich wollte es hinter mich bringen –, als ich plötzlich hinter mir ein Geräusch hörte. Ich erstarrte mitten in der Bewegung. Wenn jetzt wieder Rufus aus dem Nichts auftauchte, mitten im Keller, mitten in der Nacht … Langsam, ganz langsam drehte ich mich um.
Aber stattdessen schaute ich in das Gesicht eines fremden Jungen, nicht viel älter als ich und im Nachthemd. Und er schien noch erschrockener zu sein als ich.
Viertes Kapitel
Der Junge starrte mich an, als hätte er noch nie ein Mädchen gesehen, und wenn das wirklich so war, passte es ganz gut, denn er war auch mein erster Junge, zumindest aus der Nähe. Seine dunkelblonden Haare standen unordentlich in allen Richtungen vom Kopf ab, als hätte ich ihn gerade aus dem Bett geholt. Aber das war es nicht, was ich einfach anstarren musste, auch nicht sein verschlafenes, kantiges Gesicht, sondern sein Nachthemd und die haarigen Beine, die unten herausschauten. Bis zu diesem Tag hatte ich noch nicht einmal gewusst, dass auch Männer Nachthemden trugen, und so sah es für mich aus, als trüge dieser fremde Junge ein Kleid. Ich vergaß, dass ich eben noch vor Angst fast versteinert gewesen war. Man konnte ja vor vielem Angst haben, aber nicht vor einem barfüßigen Jungen im Nachthemd. Er tat mir ein bisschen leid, denn wo auch immer er so plötzlich hergekommen war, ich musste ihm einen Heidenschrecken eingejagt haben.
»Wer … Was bist du?«, stammelte er und hielt sich die Hand vor die Augen, dass ich schnell die Lampe wieder herunternahm – ich hatte nicht gemerkt, dass ich sie ihm direkt ins Gesicht leuchtete. Jetzt hielt er mich vielleicht wirklich für ein Gespenst.
»Ich bin Florence«, antwortete ich, als ob das alles erklärte. »Ich wollte dich nicht erschrecken.« Neugierig sah ich mich um. Nicht nur hätte ich im Keller mit keinem Schlafzimmer gerechnet, ich hatte auch nichts gehört. »Wo kommst du so plötzlich her?«
Der Junge deutete auf einen kleinen Wandschirm, der den Bereich unter der Treppe nur notdürftig verdeckte. »Ich schlafe hier«, sagte er.
Jetzt tat er mir erst recht leid. »Unter der Treppe?« Das war kein Zimmer, es hatte keine Tür, es gab keinen Waschtisch oder sonst irgendetwas – und ich dachte schon, einer Scheuermagd ginge es schlecht!
Er lachte. »Ist nicht so schlimm, wie es aussieht. Ich bin im Haus der Erste auf den Beinen, ich heize in der Küche das Feuer an, da habe ich es wenigstens nicht weit.«
»Aber gestern in der Halle, da habe ich dich nicht gesehen«, sagte ich. Gut, das galt auch für die Köchin und ihre beiden Mägde – wie viele Leute lebten denn noch in Hollyhock?
»Dann bist du das Mädchen, das sie aus London geholt haben?«, fragte der Junge. »Ich habe von dir gehört. Aber ich komme nie in die Halle, und ich sehe auch nie die Herrschaften. Ich bin Alan.« Er streckte mir seine Hand hin, und ich nahm sie etwas zögerlich. Sein Händedruck war fest und warm, und ich fühlte Kraft, Hornhaut und Schwielen; das waren Hände, die hart arbeiten konnten. Rufus hätte mir niemals die Hand gereicht.
»Bist du kein Diener?«, fragte ich neugierig. Zwei Lakaien hatte ich ja am Vortag neben dem Butler stehen sehen, und die Dienstmädchen waren schließlich auch zu dritt. Es gab selbst beim Personal solche und solche.
»Wenn ich mich hocharbeite, vielleicht irgendwann«, sagte Alan, und sein Lachen klang ein bisschen verlegen. »Erst mal bin ich Hausbursche. Aber das ist schon in Ordnung. Ich denke immer, wir haben hier unten mehr Freiheiten, und außer Mr. Trent kommandiert mich niemand herum – na ja, Tom und Guy versuchen es natürlich zumindest, und mit Mrs. Doyle sollte man sich auch
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