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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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    Wieder schlich ich, so leise ich konnte, um niemanden zu wecken, aber als ich in meinem Zimmer die Lampe wieder anzündete und nach einem geeigneten Versteck suchte, um die Laken zu verstauen, begriff ich, dass ich die Lösung direkt vor der Nase hatte. Auf dem Flur war der Leinenschrank, und wo passten diese Bettlaken besser hin als zum restlichen Linnen, zu den Tischdecken und Betttüchern? Ganz hinten und unten war der beste Ort für die verräterischen Laken. Ich zog zusätzlich ein paar von den sauberen heraus und legte die schmutzigen darunter. So schnell würde die kein Mensch finden, ich konnte mir nicht vorstellen, wie ein einzelner Haushalt, selbst ein so großer wie Hollyhock, so viel Leinen brauchen sollte. Das war wie Silberbesteck oder Puppen: Man hatte es, aber es wurde nie wirklich verwendet. Und wenn das verschmutzte Zeug doch irgendwann auftauchte, würde man sicher nicht auf mich als Schuldige kommen, sondern höchstens eines der Dienstmädchen bestrafen. Ich hatte zwar kein gutes Gefühl bei der Vorstellung, einem Mädchen Ärger zu machen, aber man durfte nicht zu zimperlich sein. Eine der ersten Sachen, die man in St. Margaret’s lernte, war, immer dafür zu sorgen, dass eine andere schuld war, egal ob Waisenmädchen oder Hausangestellte. Hauptsache, mein Geheimnis kam nicht heraus –
    Und dann fiel es mir siedend heiß ein. Ich hatte vergessen, das Puppenzimmer abzuschließen, während ich mit den Laken und der Lampe kämpfte! Mein Herz fing an zu rasen. Es war niemand wach außer mir, das ganze Haus schlief, auch Alan war sicher längst nicht mehr auf, aber egal – ich hatte es versprochen, und wenn herauskam, dass ich den Schlüssel in der Tür hatte stecken lassen, würde ich Ärger bekommen, und nur ich – das konnte ich niemand anderem anhängen. Einen Moment lang waren mir die Schläfer im Haus egal. Ich schnappte mir die Lampe und rannte die Treppen hinab – ganz gleich, ob ich über meine Füße fiel und kopfüber die Stufen hinunterstürzte, das Puppenzimmer musste abgeschlossen werden, und das so schnell wie möglich. Durch die Halle, Tür, Flur … ich kam noch rechtzeitig.
    Der Schlüssel steckte da, wo ich ihn zurückgelassen hatte, unschuldig und unscheinbar, und ich zog ihn schnell heraus, presste ihn gegen meine Brust wie ein Heiligtum und versuchte, langsam wieder zu Atem zu kommen. Der Schreck saß mir immer noch in den Knochen – Rufus sollte sich freuen, solch einen Ausbund an Pflichtbewusstsein wie mich entdeckt zu haben. Ich vermutete, jeder anderen wäre es egal gewesen, wenn um vier Uhr in der Frühe, oder wie früh auch immer es war, das Puppenzimmer für ein paar Minuten nicht abgesperrt war. Was sollte auch passieren – eine Puppe davonlaufen? Nein, die saßen noch genauso da, wie ich sie zurückgelassen hatte, und es war auch keine verräterische Lücke zu erkennen …
    Ich musste zugeben, so ohne die Laken und im gelben Lampenlicht hatte das Puppenzimmer irgendwie etwas Gemütliches. Die Puppen, so fahl ihre Gesichter auch sein mochten, machten es bunt mit ihren Kleidern, Haaren und Mützen. Und auch wenn der Teppich sich sicherlich über einen Staubsauger gefreut hätte, lag er doch so vorteilhaft im Schatten, dass man davon nicht viel merkte. Auf dem Kaminsims stand eine Uhr, die schon lange nicht mehr aufgezogen worden war, und was ich für ein Sideboard gehalten hatte, war nach dem Enthüllen tatsächlich ein Klavier, das ich selbstverständlich niemals spielen durfte. Wie alle Möbelstücke im Zimmer ertrank es regelrecht unter Puppen, Puppen und noch mehr Puppen, aber ich blickte jetzt auf das Zimmer mit einem gewissen Besitzerstolz. Und ich hoffte, am anderen Tag ein Lob von Rufus oder Violet zu bekommen. Trotzdem, ewig hier herumstehen wollte ich auch nicht.
    »Macht es gut, ihr Lieben«, sagte ich. »Wir sehen uns morgen wieder. Schlaft gut!« Ich nahm meine Lampe und ging zur Tür, und dieses Mal vergaß ich auch nicht den Schlüssel im Schloss, als ich mir wieder aufsperrte. Ich hatte die Hand schon auf der Klinke, froh, dass sich meine Aufregung und mein pochendes Herz wieder beruhigt hatten, und war bereit, noch ein paar neue Räume im Erdgeschoss heimzusuchen, ehe der Morgen anbrach – als ich hinter mir ein Geräusch hörte.
    Es war nur ganz leise: Und doch hätte ich schwören können, es war das Lachen eines Kindes.
    Als ich am nächsten Morgen bei den Herrschaften saß und frühstückte, war ich ganz das stille kleine Waisenmädchen,

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