Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
Vom Netzwerk:
schlammfarben nachgewachsen waren, doch bis auf das Medaillon, von dem ich schon wusste, gab es nichts Bemerkenswertes an mir. Da mochte ich noch so sehr auf die Beschreibung von seltsamen Muttermalen hoffen, an Stellen, die ich niemals selbst zu Gesicht bekommen konnte, auf Zeichen, die mich als verschollene Prinzessin auswiesen … Nichts davon – und so hatte ich das Suchen dann wieder aufgegeben. Es führte zu nichts. Ich war, was ich war.
    Und nun wiederholte sich also das Ganze. Ich versuchte, mich zu erinnern, ob ich jemals mit Puppen gespielt hatte, sicherlich hatte ich als kleines Mädchen eine Holz- oder Lumpenpuppe besessen, aber sie konnte keinen schweren Eindruck auf mich gemacht haben und musste sicher bald bei einem anderen Kind gelandet sein, das mehr damit hatte anfangen können. Erst einmal ausziehen … Ich kicherte, als wäre ich blödsinnig. Wir waren anständige Mädchen in St. Margaret’s, wir wussten, dass wir uns nicht nackt ausziehen durften, zumindest nicht im Hellen, aber eine Puppe sah unter ihren Leibchen und Höschen doch anders aus als ich, und es war niemand da, um ihr etwas wegzugucken. Vorsichtig machte ich mich ans Auswickeln, ich wollte nichts kaputt machen und musste die Sachen hinterher auch wieder so an der Puppe befestigen, wie sie zuvor gewesen waren.
    Da lag sie nun vor mir, nackt und hilflos. Wirklich, mit der Puppe wollte ich nicht tauschen, und wer glaubte, er machte einem Mädchen Komplimente, wenn er meinte, es sähe aus wie eine Puppe, dachte sicher nicht an Kugeln anstelle von Knien und Ellbogen, an seltsam eingeknickte Oberarme, Schlitze in den Schenkeln und an einen Leib, der dicht unterhalb des Bauchnabels abrupt endete.
    Ich war keine Expertin für Puppen, aber eines wusste ich sofort: dass Rufus noch weniger Ahnung hatte als ich, was die Sammlung seiner Tante anging. Vermutlich hatte diese nur von Porzellanpuppen gesprochen, und Rufus ging nun davon aus, dass dann die ganze Puppe aus Porzellan sein musste. Aber abgesehen vom Kopf bestand Püppi aus etwas, das ich für Papiermaché hielt: eine dicke Modelliermasse, lackiert mit vielen Schichten Farbe oder dickem Schellack, das konnte ich nicht beurteilen; überzogen von Linien wie feine Risse. Die Fußsohle war gesprungen, so dass es aussah wie ein Spinnennetz; es erinnerte mich an ein Ei, kurz bevor der Vogel schlüpfte.
    Es war seltsam, aber nach dieser Entdeckung mochte ich die Puppe gleich viel lieber. Es gefiel mir, dass sie unter ihrem Porzellangesicht doch nicht vollkommen war, dass ihr Körper Makel hatte und sie vielleicht das Zipperlein plagen mochte von der langen Zeit in einem unbeheizten Zimmer. Jetzt ging es auf den Sommer zu, aber wenn ich jeden Tag nur eine Puppe anfassen durfte, würde ich bis zum Winter niemals fertig sein, und wichtiger als eine Heizung in meinem Zimmer, wo ich ohnehin nur schlief, war es mir, bis dahin den Kamin im Puppenzimmer wieder in Gang gesetzt zu haben. Die Puppe sah aus, als ob sie fror – dieser nackte Körper machte sie verwundbar, fast menschlich, und ich beeilte mich, sie richtig mit Zollstock und Maßband zu vermessen und die Ergebnisse in die Kladde einzutragen. Ich fühlte mich sehr wichtig dabei. Die Schrift auf dem Papier hatte so etwas Offizielles, als würde das Buch weiterbestehen, lange nachdem ich tot war, und als würden die Menschen späterer Jahrhunderte noch meine Aufzeichnungen für ein wichtiges Zeugnis halten.
    Auch die Arme und Beine vermaß ich, weil ich einmal gehört hatte, dass man das mit Verbrechern so machte, und das nicht nur, um ihnen besonders gut sitzende Zuchthauskleidung schneidern zu können, sondern um sie später wieder zu identifizieren. Ich zählte ihre Zähne und wusste, als kleines Kind hätte ich mich unglaublich gefürchtet vor so einer Puppe mit halboffenem Mund, die aussah, als wollte sie mich jeden Moment beißen. Ich war sehr gründlich. Selbst mit der Handschrift gab ich mir große Mühe, damit sie aussah wie die von Miss Smythe, welche die Leihbücherei betrieb. Wenn die ihren Farthing kassiert hatte und man das Buch mitnehmen durfte, trug sie den Kunden in ihr großes Buch ein, und erst das machte die Ausleihe endgültig zu etwas Magischem.
    Nur an einer Sache scheiterte ich: der Puppe einen Namen zu geben. Nicht, weil ich nicht den Kopf voll schöner Namen gehabt hätte: Alle Heiligen aus dem Gebetbuch, alle Heldinnen aus den Kolportageromanen, sie alle hatten jetzt die Gelegenheit, eine Puppe zu werden. Aber es war

Weitere Kostenlose Bücher