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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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nach viel aus, aber wenn er dafür anständig schrieb, war das eine Menge wert. Und ein Fass Tinte hatte ich bekommen und ein Federmesser, um den Bleistift anzuspitzen. Jetzt war ich bewaffnet, und die Feder war mächtiger als das Schwert … Ich ignorierte geflissentlich das Nähzeug, das auch noch in meinem Päckchen war. Wenn es ums Nähen ging, hatte sich Rufus die Falsche ausgesucht. Mir fehlten Interesse und Können, und ganz sicher hätte ich mir nie absichtlich ein Loch in meine Schürze gerissen, nur um nicht untätig herumsitzen zu müssen – auch wenn ich manchen Riss der letzten Jahre so erklärt hatte.
    An die Arbeit. Bis zum Abendessen war noch viel Zeit, und auch wenn Rufus gemeint hatte, ich müsste jeden Tag nur eine Stunde arbeiten, würde ich doch am Anfang bestimmt länger brauchen; ich kannte die Handgriffe noch nicht und wusste nicht, was alles zu tun war. Eine Puppe musste den Anfang machen. Ich schluckte. Aber jetzt war es Tag, das Zimmer beinahe hell, die Porzellangesichter starrten mich so unschuldig und reglos an, als könnte sie kein Wässerchen trüben, und ich glaubte immer weniger an das, was in der Nacht passiert zu sein schien. Von der Puppe, die ich am Vortag in der Hand gehalten hatte, wusste ich immerhin, dass sie mich nicht gebissen hatte. Und dann konnte ich Rufus und Violet zeigen, was für eine grandiose Puppenverwalterin in mir steckte. Besser eine seltsame Aufgabe im Leben als gar keine … Ich schluckte. Und griff dann nach der Puppe.
    Wieder fiel mir auf, wie schwer das rotgelockte Mädchen war, aber zu meinen Werkzeugen gehörte keine Waage, also sollte das Gewicht wohl egal sein. Aber ich fühlte noch etwas anderes, als ich sie aufnahm, ein Wiedererkennen – natürlich, ich war mir sicher, dass es die gleiche Puppe war wie am Vortag. Sie hatte ganz links auf der Kommode gesessen, und niemand war in der Nacht da gewesen, um sie durcheinanderzubringen. Aber daran lag es nicht. Es war kein Erkennen mit den Augen. Es war ein seltsam vertrautes Gefühl, als ob wir einander schon begegnet waren. Sie fühlte sich freundlicher an als gestern, und das machte mich argwöhnisch.
    »Wenn du das warst, die gestern gelacht hat …«, sagte ich und schalt mich im nächsten Moment dafür, wie oft ich mit diesen leblosen Gestalten sprach, die mir nicht antworten konnten. »Wenn du das noch mal machst, werfe ich dich gegen die Wand, und wir werden sehen, wer dann lacht.«
    Ich bildete mir ein, dass irgendwo aus der Ecke ein Kichern kam. Jemand lachte mich aus, aber es war nur unscharf, im Augenwinkel meines Bewusstseins und längst nicht so wirklich wie das, was ich in der Nacht gehört hatte. Vermutlich war es nur eine Erinnerung, die mich in den nächsten Tagen noch oft heimsuchen würde, bis ich mich daran gewöhnt hatte, von Puppen umgeben zu sein. Und das Reden … Der Gedanke mochte bitter klingen, aber ich hatte sonst niemanden. Rufus und Violet ließen mich nur sprechen, wenn sie es gerade wollten, und auch wenn ich ein paar nette Worte mit den Dienstboten wie Lucy oder Alan gewechselt hatte, waren sie doch jetzt weit weg; ich konnte nicht einfach hinuntermarschieren, sie bei der Arbeit stören, nur um ihnen irgendetwas von Puppen zu erzählen – sie würden es weder verstehen, noch dürften sie es hören.
    Da ich immer noch keinen freien Stuhl hatte, setzte ich mich mit der Puppe und allem Werk- und Schreibzeug auf den Teppich. Die Kerzen an der Wand brannten, aber um mehr Licht zu haben, nahm ich auch die Petroleumlampe zu mir mit auf den Boden, vorsichtig, um sie nicht umzuwerfen. Mit überkreuzten Beinen wie ein Schneider ging ich ans Werk. Ich hatte es Violet oder Rufus nicht verraten, aber diese Arbeit war mir nicht ganz fremd. Gut, ich hatte das noch nie mit einer Puppe gemacht, aber wenn jemand St. Margaret’s ein Kind vermachte, auf dem einfachen Weg über ein Bündel auf der Türschwelle, musste alles seine Richtigkeit haben. Miss Mountford nahm sich dann zwei der älteren Mädchen – mich zum Beispiel – und ihr großes Buch, und dann ging es los: Größe, Gewicht, Kopfumfang, alles, was später helfen würde, das Kind zu identifizieren – falls sich doch noch einmal jemand melden sollte, der es wiederhaben wollte. Ich hatte einmal versucht, meinen eigenen Eintrag wiederzufinden, aber er half mir nicht viel weiter. Natürlich war ich irgendwann einmal 19 Zoll groß gewesen, hatte schwarze Haare auf dem Kopf gehabt, die offenbar eines Tages alle ausgefallen und

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