Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
Vom Netzwerk:
Kirchturm; vielleicht verbarg sich all das hinter den üppigen Hügeln, die uns umgaben. Ich hoffte, zusammen mit den Herrschaften mit der Kutsche zur Kirche fahren zu dürfen, denn zu Fuß würde das ein entsetzlich langer Weg werden, für den auch Gott einen nur schwer entschädigen konnte.
    Aber es gab hier mehr zu sehen als das Kapellchen, angefangen mit den Büschen, die es umwucherten. Die Brombeeren waren noch nicht reif, ein Teil des Gesträuchs stand sogar noch in Blüte, so wie alles hier im Garten gerade zu blühen schien, und ich ging nicht zu nah an sie heran, um mir an den Stacheln nicht das Kleid oder die Strümpfe zu zerreißen. Ich merkte mir diesen Ort, und wenn ich irgendwann in der Bibliothek ein Buch über die Geschichte Hollyhocks finden sollte, würde ich nachlesen, was es über das Haus zu wissen gab. In meiner Vorstellung hatte hier einmal ein Rittersitz gestanden, die Burg eines echten Kreuzfahrers, stolz und trutzig, bis die Erben irgendwann auf die Idee kamen, das alte Haus niederzureißen und durch einen modernen Bau zu ersetzen, oder was man damals dafür hielt. Nur eine Kapelle durfte man natürlich nicht abreißen, wer das tat, kam in die Hölle, und darum blieb sie stehen, auch wenn sie in Vergessenheit geriet. Vielleicht war sie einsturzgefährdet und durfte deswegen nicht betreten werden, am Ende ließ sich alles ganz einfach erklären …
    Aber ich war wegen des Gartens da, also trieb ich mich weiter darin herum. Ich pflückte keine Blumen; es gefiel mir nicht, wenn sie welkten und anfingen zu stinken: Blumen waren am schönsten, wenn sie lebten. Wer das alles hier einmal angepflanzt hatte, musste wirklich ein Händchen für Gartenkunst haben. Ich hatte noch nie so viele verschiedene Blumen gleichzeitig blühen sehen. Da waren die berühmten Malven, die eigentlich noch gar nicht so weit hätten sein sollen, gleichzeitig sah ich ein paar Narzissen, die sich in London längst in die Erde zurückgezogen hatten. Es gab wilde und verwilderte Rosen, vor allem aber viele Pflanzen, deren Namen ich nicht kannte. Noch etwas, wobei mir die Bibliothek helfen konnte: Es gab dort sicherlich ein Bestimmungsbuch. In diesem Moment war ich sogar bereit, selbst die Pflege des Gartens zu übernehmen – nicht, weil ich gerne gärtnern wollte, aber um zu verhindern, dass an ihm irgendetwas verändert wurde.
    Nur das Labyrinth war eine Enttäuschung. Ich stieß auf eine hohe, wild verwachsene Eibenhecke, die sich schurgerade an einer Seite des Parks entlangzog, und freute mich, endlich gefunden zu haben, was ich von meinem Schlafzimmerfenster aus erahnt hatte. Ich lief an ihr entlang, folgte der grünen Linie um eine Ecke, und dann um noch eine … Es war wie verhext. Irgendwann war ich einmal herum, und damit war klar, dass es keinen Eingang gab. Sollte nicht eigentlich das Besondere an Irrgärten sein, dass man nicht hinausfand? Ich jedenfalls fand nicht hinein. Vielleicht war alles mit den Jahren einfach zugewachsen, aber trotzdem, ich hatte mich schon auf das vergnügte Verlaufen gefreut. Wenn Rufus vorhatte, einen Gärtner anzuheuern, dann sollte der sich – wenn es nach mir ging – auf das Labyrinth stürzen und alles andere stehen lassen.
    Ich hätte den ganzen Tag im Garten verbringen können und dieses seltsam neue Gefühl der Freiheit genießen, das in meinem Inneren etwas zum Klingen brachte, das zuvor noch nie geklungen hatte. Aber ich fing an, mir Sorgen zu machen, dass mein Fehlen in der Bibliothek doch bemerkt wurde, und hatte ich mir vorher keine Gedanken über mögliche Strafen gemacht oder sie zumindest schnell wieder verworfen, bekam ich, umgeben von dieser Schönheit, immer mehr Angst, man könne mir das hier für immer wegnehmen und mich in den Keller sperren, wo ich wie Alan ohne Licht leben musste, ohne den Geruch von Gras und Blumen, ohne all das, von dem ich vor zwei Tagen noch nicht einmal gewusst hatte, wie sehr ich es liebte und was es mir bedeutete. Jetzt konnte ich Rufus nicht mehr höhnisch ins Gesicht lachen und sagen: » Dann bestrafen Sie mich doch – den Himmel können Sie mir nicht wegnehmen! « , denn genau das konnte er. Statt mich also ins Gras zu legen und friedlich vor mich hinzuträumen, statt meine Kleider auszuziehen und im Seerosenteich zu schwimmen wie eine Nymphe, machte ich mich daran, zurück in die Bibliothek zu kommen.
    Ich hatte Glück. Das Fenster, durch das ich entkommen war, stand noch offen – ein hoffnungsvolles Zeichen dafür, dass doch noch

Weitere Kostenlose Bücher