Das Puppenzimmer - Roman
und das Abenteuer im Herzen. Je weiter ich mich vom Haus entfernte, desto ausgelassener wurde ich. Natürlich musste ich irgendwann wieder dorthin zurückkehren, ganz sicher würde ich nicht einfach so abhauen, bevor ich nicht das Geheimnis der Puppen gelöst hatte, aber jetzt war ich erst einmal hier.
Ich umrundete Hollyhock in einem weiten Bogen, schon damit mein Kleid nicht so deutlich vom Fenster aus sichtbar durch die Hecken leuchtete, und genoss den Sonnenschein, den wir in der Stadt genauso selten zu Gesicht bekamen wie nachts die Sterne. Hollyhock war ein verzaubertes Land, in dem es nicht regnete und immer schönes Wetter war, hier mussten Feen im Garten hausen, und ich glaubte fast, jeden Moment müsse eine zwischen den Blumen auftauchen.
Hinter dem Haus stieg das Land leicht an, so dass die Fenster von Puppen- und Morgenzimmer wieder auf einer Höhe mit dem Boden waren, ich fragte mich, ob es so gedacht war, dass man direkt zum Fenster hinaus- oder hineinspazieren können sollte, und ob dort nicht eigentlich eine Veranda hingehört hätte, aber vor allem musste ich darauf achten, mich nicht sehen zu lassen, als ich mich heranschlich, um zu sehen, was man von außen von den Puppen sehen konnte. Schon auf den ersten Blick stimmte etwas mit dem Fenster nicht. Bei dieser Größe fiel schnell auf, ob es geputzt war oder nicht, und während überall sonst in Hollyhock die Scheiben glänzten und glitzerten vor polierter Sauberkeit, war dieses Fenster völlig verschmutzt. Sehen konnte man nichts, nicht einmal dort, wo dank meiner Unachtsamkeit der Vorhang ein klitzekleines Stück verrutscht war – das Zimmer war nur schwarz vor Dunkelheit. Kein Hinweis auf die vielen kleinen Gestalten, die diesen Raum bevölkerten, ohne ihn mit Leben zu füllen.
Während ich durch den Garten wanderte, musste ich zugeben, dass ich Hollyhock unrecht getan hatte. Ja, es mochte etwas heruntergekommen sein, aber an allen Ecken und Enden wurde daran gearbeitet, diesen Zustand zu beseitigen. Das fing mit den geputzten Fenstern an und endete mit Büschen, die aussahen, als wären sie gerade frisch beschnitten worden. Bei einem konnte man erkennen, dass er eines Tages die Gestalt eines Kaninchens haben sollte, auch wenn er noch nicht fertig war und nur zur Hälfte Tier. Wer kümmerte sich hier um die Büsche? Ich konnte mir den krummen kleinen Mr. Trent nicht mit der Heckenschere vorstellen; vielleicht hatte der Kutscher noch eine zweite Beschäftigung, irgendetwas musste er ja tun, wenn er nicht gerade die Molyneux’ nach London fuhr.
Zum Anwesen gehörten auch verschiedene Gebäude, die nicht mit dem Haupthaus verbunden waren. Da gab es das Kutschenhaus, natürlich, und die Stallungen, in die ich mich nicht hineinwagte, dafür hatte ich zu viel Respekt vor Pferden. Dafür fand ich noch etwas anderes, und das war wieder ein neues Rätsel für sich. Am hinteren Rand des Grundstücks, fast völlig versteckt und überwuchert von Brombeersträuchern, lag eine kleine Kapelle. Und wo der Rest des Hauses langsam aus seinem Schlummer gerissen wurde, war es hier genau umgekehrt: Die Kapelle war seit Jahren nicht mehr geöffnet worden.
Die Tür war versperrt mit einer Kette, die – vielleicht aus Silber und früher einmal glänzend – nun schwarz angelaufen war von der Zeit, und einem großen Vorhängeschloss, das nicht aussah, als wäre es auch nur innerhalb meiner Lebenszeit angerührt worden. Man konnte nicht ins Innere blicken; alles, was es gab, war ein kleines Oberlicht über der Tür, für das ich auf einen Schemel hätte steigen müssen. Die Kapelle sah alt aus, vielleicht sogar noch älter als Hollyhock, und das Wappen am Giebel war so verwittert, dass man nichts mehr davon erkennen konnte. Aber warum sollte man ausgerechnet eine Kapelle verrammeln, wenn sie nicht entweiht worden war, und das auf schrecklichste Weise? In meiner Vorstellung lag darunter eine geheime Gruft, in der tagsüber ein Vampir schlief – es hätte mich nicht einmal gewundert, wenn Rufus einer war, so bleich und düster, wie er daherkam, aber konnten Vampire im Tageslicht herumlaufen? Eher nicht. Ich musste wohl damit leben, dass selbst Rufus ein gewöhnlicher Mensch war.
Ich schlug mich auf die Rückseite der Kapelle durch, aber ich fand keinen Weg hinein, noch nicht einmal für die Augen. Die Vorstellung, eine eigene Kapelle zu haben, war doch sicher sehr reizvoll – von Hollyhocks Fenstern aus war weit und breit kein Dorf zu sehen, und auch kein
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