Das Puppenzimmer - Roman
sich die Puppe auch nur, überhaupt wieder beachtet worden zu sein … Was für komische Gedanken mir da kamen! Die Puppen waren und blieben leblose Geschöpfe aus Porzellan und Masse, und es war egal, mit welcher ich weitermachte – trotzdem … Ich wanderte an den Reihen von Ausstellungsstücken entlang wie ein interessierter Besucher, ließ meine Hand ein Stück über den lockigen Köpfen schweben und konnte mich nicht entscheiden. Ich schloss die Augen – letztlich war es mir egal, wie die Puppen aussahen, und ich war immer noch nicht wild darauf, von ihren Blicken verfolgt zu werden oder in ihre starren Gesichter zu blicken. Und dann passierte etwas Merkwürdiges.
Es war nicht schlimm, noch nicht einmal gruselig, nichts, was mit diesem Lachen in der Nacht vergleichbar war. Nur das Gefühl, eine bestimmte Puppe hochheben zu müssen, als meine Hand an ihr vorüberglitt. Ich griff zu, ohne nachzudenken, und verstand es erst richtig, als ich den Stoff ihres blauen Matrosenkleides in der Hand spürte. Ein seltsames Gefühl der Zufriedenheit, das nicht von mir zu stammen schien, durchflutete mich; es war, als ob die Puppe sich gewünscht hätte, dass ich sie auswählte, und sich jetzt über ihren Erfolg freute. Meine Hand zuckte zurück, das war mir dann doch zu seltsam, aber ich hatte nun einmal versprochen, jeden Tag nur eine einzige Puppe zu berühren: Also nahm ich sie doch hoch und setzte sie auf den Teppich, wo ich am Vortag gearbeitet hatte, und dann war ich froh, wegzukommen. Das Abendessen – um trotz der Uhrzeit bei diesem Wort zu bleiben – war mir eine willkommene Ausrede. Als ich die Tür hinter mir absperrte, schwappte mir ein Hauch von Enttäuschung hinterher. Die Puppe war nicht zufrieden, dass es mit der Aufmerksamkeit schon wieder ein Ende hatte, aber von mir aus konnte das erst einmal so bleiben.
Endlich essen! Ich war normalerweise nicht von der ungeduldigen Art, aber jetzt konnte ich es gar nicht mehr abwarten. Es war zwar erst Viertel nach zwölf, als ich in den Keller ging, und ich wusste es besser, als mich eine Dreiviertelstunde lang von der Köchin anschnauzen zu lassen. Aber ich konnte mich auf dem Flur herumtreiben, unbemerkt und unbeachtet, und die Minuten zählen, bis der Rest des Haushalts angelaufen kam, sich alle an einen großen Tisch setzten, um sich dann auf die Köstlichkeiten, die Mrs. Doyle für das Personal gekocht hatte, zu stürzen. Natürlich war ich auch gespannt auf die anderen – ich blieb immer noch ein Mädchen, und egal wie groß der Hunger war, ein letzter Rest Verstand würde immer für Neugier reserviert bleiben. Ich freute mich, Alan und Lucy wiederzutreffen, aber da gab es noch die beiden Lakaien, Tom und Guy, die ich vorher nur kurz gesehen hatte, und das dritte Zimmermädchen, und wer wusste schon, was für Leute noch in den Eingeweiden dieses Hauses werkelten, von denen ich nichts ahnte?
Als Mrs. Arden die Türen zum Speisezimmer öffnete – einem recht großen Raum, der an die Küche grenzte und an dessen langem Tisch in der Blütezeit Hollyhocks für mehr als 20 Mann Platz gewesen sein musste –, stand ich sofort an der langen Holzbank, bevor mir aufging, dass ich mich sicher nicht einfach irgendwo hinsetzen durfte. In St. Margaret’s gab es eine Tischordnung, die ziemlich genau mit unserer Hackordnung übereinstimmte, und hier konnte es kaum anders sein. Ich wartete also schweren Herzens, bis der Rest eingetroffen war, herbeigerufen von Mrs. Ardens Tischglocke und dem Geruch nach köstlichem Eintopf, der zehnmal für die üble Laune der Köchin zu entschädigen versprach.
Eines nach dem anderen erschienen die drei Zimmermädchen, die vor Mrs. Arden knicksten, bevor sie wortlos ihren Platz auf der Bank einnahmen. Lucy und die Küchenmagd, die es nicht weit hatten, kamen als Nächstes und zeigten Mrs. Arden ihre sauberen Finger, ehe sie sich auch setzen durften. Ich dachte erst, die andere Bank wäre für das männliche Personal gedacht, mit Mrs. Arden und Mr. Trent an den Kopfenden, aber dann wäre es auf der Frauenbank doch etwas eng geworden. Es tauchte nämlich noch eine adrette kleine Frau auf mit schwarzem Haarknoten und den zierlichsten Fingern, die ich je an einer Dienstbotin gesehen hatte, und ich begriff, dass Violet selbstverständlich eine Zofe brauchte – wie sollte sie sich auch selbst ihr Haar zu so einem bezaubernden Vogelnest hochstecken? Dafür bedurfte es geschickter Hände und einem Paar aufmerksamer Augen. Die Zofe konnte
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