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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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stolz sein auf ihre Arbeit, doch sie gab sich genauso still und scheu wie die Zimmermädchen. Es war, als wäre jede Hausangestellte, die sich in den oberen Etagen bewegen durfte, danach ausgesucht worden, wie still und unsichtbar sie sein konnte, und das war ihnen allen so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie es noch nicht einmal hier unten beim Essen ablegen konnten.
    Die Männer hingegen waren deutlich in der Unterzahl. Alan kam mit hungrigem Gesicht und tat so, als sehe er mich nicht, was ich gerne erwiderte. Es sollte niemand tuscheln, und ich wollte auch nicht, dass der Bursche für die Freundschaft, die sich da langsam zwischen uns entwickelte, in Schwierigkeiten geriet. Die beiden Lakaien waren etwas lebhafter als die Zimmermädchen, und sie sahen einander so ähnlich, dass sie Zwillingsbrüder hätten sein können – der eine trug seinen Haarwirbel auf der linken Seite des Kopfes, der andere rechts, aber wenn sie aus dem gleichen Ort kamen, wo alle irgendwie Vettern waren, war das nicht weiter verwunderlich. Nebeneinander aufgereiht wie die Hühner auf der Stange, sahen die Zimmermädchen ja auch ziemlich austauschbar aus, und ich wusste schon nicht mehr genau, wer nun Clara war und wer Sally.
    Den Mann, der als Letzter eintraf, hatte ich noch nie gesehen. Er trug einfache Kleider, ein blaues Baumwollhemd und grobe schwarze Hosen, und seine Halbglatze war von der Sonne gegerbt. Ich dachte erst, es wäre der Kutscher, den ich nur so kurz getroffen hatte, dass ich unmöglich sagen konnte, wie er aussah, aber das konnte nicht sein. Wenn Rufus nach London fuhr, musste der Kutscher ihn natürlich begleiten. Dann sah ich Erde an den Händen des Mannes, keine frische Erde, sondern schwarzer Staub, der sich tief in die Haut eingegraben hatte und allem Wasser und Seife trotzte – und begriff, dass es ein Gärtner sein musste. Mit blutendem Herzen bangte ich um meine wilde, freie Schönheit, den Garten. Mit etwas Glück war der Mann ein Trinker, der den halben Tag hinter dem Haus in der Sonne lag und schlief, oder er war ein gebildeter Mann und verschwand mit einem klugen Buch in der Verstohlenheit des Labyrinthes – alles, solange er nicht auf die Idee kam, meine Beete zu jäten oder meine Büsche zu stutzen, in die ich mich doch so verliebt hatte!
    »Worauf wartest du?«, fragte Mrs. Arden mich kurz angebunden. »Setz dich hin!«
    »Wo darf ich denn?«, fragte ich und hoffte insgeheim, vielleicht neben Alan zu landen. Aber als die Haushälterin auf das Bankende neben der Scheuermagd zeigte, war ich auch zufrieden. Ich setzte mich, und Lucy zwinkerte mir zu mit einem unterdrückten Grinsen, das immer noch ein sehr nettes Schmunzeln war. Dass sie sich freute, mich wiederzusehen, tat mir so gut, mir wurde ganz warm vor Glück. Das war doch etwas anderes als die porzellanene Freude einer Puppe! Ich lächelte zurück, vielleicht würden wir es schaffen, noch mal ein paar Worte miteinander zu wechseln, aber wenn es hier nur halb so gesittet zuging, wie ich es erwartete, waren die einzigen Worte, die zum Essen gesprochen werden durften, das Tischgebet.
    Das Wasser lief mir im Mund zusammen. Ich bekam einen Teller. Einen Löffel. Eine Gabel. Und dann eine großzügige Kelle voll dicker Suppe. Vor Vorfreude konnte ich kaum noch stillsitzen, ich wollte mir den Löffel nehmen und über die gekochten Rüben und Kartoffeln herfallen wie der Hofhund über den Knochen, faltete aber brav die Hände, schloss die Augen, um diese Pracht nicht mehr direkt vor mir sehen zu müssen, und wartete. Ich rechnete damit, dass Mr. Trent das Gebet sprechen würde, weil er als Mann sicher noch eine kleine Stufe über Mrs. Arden stand. In St. Margaret’s hatte immer Miss Mountford vorgebetet, dort gab es ja auch keine Männer …
    Aber niemand betete. Stattdessen hörte ich, wie Löffel erst in die Suppe eintauchten und dann in hungrigen Mündern verschwanden, ich hörte es schmatzen und schlürfen und kauen und schlucken – trotzdem zögerte ich noch einen Moment, ehe ich es den anderen gleichtat. Ich blinzelte und blickte mich um, und erst als ich sah, dass auch Mr. Trent und Mrs. Arden schon mit Essen beschäftigt waren, griff ich vorsichtig nach meinem Löffel. Wenn ich ehrlich war, hatte ich Tischgebete sowieso immer für Zeitverschwendung gehalten. Zumindest bei dem, was es im Waisenhaus gab, musste man Gott nicht auch noch ermutigen, so weiterzumachen.
    Das Essen verlief ereignislos, und ich ahnte, dass sich das für die

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