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Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)

Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)

Titel: Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tibor Rode
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Armaturenbrett. Nachdem wir eine Weile auf der Autobahn unterwegs waren, schluchzte sie unvermittelt und begann zu weinen.
    »Tut dein Bein so weh?«, fragte ich besorgt und warf ihr einen Blick zu. Sie schüttelte den Kopf und wischte sich mit der Spitze eines Ärmels die Tränen aus dem Gesicht.
    »Weshalb weinst du dann?«, wollte ich wissen.
    »Wegen der Bücher und Briefe, die ich angezündet habe«, antwortete sie. »Sie sind alle verbrannt.«
    »Wegen der Bücher?«, rief ich ungläubig.
    »Sie haben dreihundert Jahre überstanden, und wegen mir sind sie nun für immer zerstört«, entgegnete Julia und schluchzte erneut.
    Ich fand es zwar schade um die Bücher, verstand aber nicht, dass man deswegen so verzweifelt sein musste. Die Zerstörung der alten Bücher schien Julia aber tatsächlich tief zu treffen, sodass ich einige lockere Sprüche, die mir spontan einfielen, lieber für mich behielt.
    »Ich bin Buchrestauratorin«, erklärte sie, als hätte sie meine Gedanken erraten. »Mein Job ist es, Bücher zu retten. Das wäre so, als wenn … als wenn ein Arzt einen Patienten krank macht!«
    »Oder ein Anwalt seinen Mandanten verrät …«, fügte ich hinzu.
    Für eine Weile schwiegen wir.
    »Wie bist du überhaupt darauf gekommen, Bücher zu restaurieren?«, fragte ich.
    »Schon als Kind habe ich Bücher geliebt. Ich bin bei meinen Großeltern in Böblingen aufgewachsen. Im Arbeitszimmer meines Großvaters standen Regale mit Büchern, darunter auch sehr alte. Als ich kleiner war, hat meine Großmutter mir daraus immer vorgelesen. Später habe ich dann selbst in ihnen gestöbert. Ich mochte den Geruch alter Bücher.«
    »Was ist mit deinen Eltern?«, erkundigte ich mich und trat gezwungenermaßen auf die Bremse, denn vor uns staute sich der Verkehr.
    »Meinen Vater habe ich nie kennengelernt. Er hat meine Mutter noch vor meiner Geburt verlassen. Meine Mutter hatte immer viele Probleme, mit Alkohol, Drogen und so. Kurz nachdem ich zur Welt gekommen bin, hat sie mich bei meinen Großeltern abgegeben, und irgendwann ist sie für immer verschwunden. Ich weiß bis heute nicht, ob sie noch lebt.«
    »Das tut mir leid«, sagte ich bedrückt.
    »Ich denke, für mich war es ideal, bei meiner Großmutter aufzuwachsen«, entgegnete Julia. »Meine Mutter hätte mich nicht so großziehen können wie sie.«
    »Leben deine Großeltern noch?«
    »Meine Großmutter, ja. Aber sie ist sehr alt. Sie lebt jetzt in einem Pflegeheim in Stuttgart. Mein Großvater starb vor fünf Jahren.«
    Ich hörte Sehnsucht aus ihrer Stimme heraus.
    »Aber zurück zu deiner Frage, warum ich Bücher restauriere: Eines Tages, ich konnte schon lesen, fand ich zwischen den vielen Büchern meines Großvaters auch zwei alte Tagebücher meiner Mutter. Sie hatte sie geschrieben, als sie selbst noch Jugendliche war und zu Hause bei meinen Großeltern wohnte. In den Tagebüchern hat sie über vier Jahre hinweg ihre Erlebnisse, Gedanken und Gefühle festgehalten. Ich habe das alles gelesen. Und danach habe ich mich meiner Mutter so nahe gefühlt wie niemals zuvor. Ich habe sie verstanden.« Julia starrte gedankenverloren durch die Windschutzscheibe.
    Ich sagte nichts.
    »Es war ein bisschen so, als wenn sie durch die Bücher selbst mit mir gesprochen hätte«, fuhr sie fort. »Verstehst du? Die Tagebücher waren mehr als fünfzehn Jahre alt, aber für mich war es so, als würde ich mit jedem Satz, den ich las, einen in Bernstein eingeschlossenen, unversehrten Gedanken meiner Mutter entdecken. Es war für mich so viel mehr als nur ein altes Tagebuch.«
    Ich wusste nicht, was ich hierzu sagen sollte. Ihre Geschichte berührte mich. Plötzlich saß neben mir im Auto nicht mehr nur diese wunderschöne junge Frau, die ich heute Morgen, als ich in dem Raststätten-Hotel vor ihr aufgewacht war, fast eine Stunde lang bewundernd angesehen hatte, sondern auch ein Mädchen, das in Büchern nach ihrer verlorenen Vergangenheit suchte.
    »Und so bin ich schließlich auf die Idee gekommen, nach dem Abitur ›Restaurierung von Grafik-, Archiv-und Bibliotheksgut‹ an der staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart zu studieren«, beendete Julia ihre Geschichte.
    Der Stau vor uns löste sich langsam auf, nachdem wir einen Lastwagen passiert hatten, der auf dem Seitenstreifen liegen geblieben war.
    »Wie bist du nach Hamburg gekommen?«, fragte ich sie. Ich bemerkte, dass sie ihren Kummer überwunden hatte.
    »Warum wohl?«, entgegnete sie. »Der Liebe wegen. Mein

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