Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)

gefertigt und hatte in der Mitte ein kleines Loch. Irgendwie erinnerte sie mich an ein Kinderspielzeug.
    Ich griff nach meinem Laptop, den ich ebenfalls mitgenommen hatte, und schaltete ihn ein. Als Patentanwalt hatte ich mir einen USB-Stick zugelegt, mit dem man sich ins Internet einwählen konnte. Als ich nach einer ganzen Weile endlich online war, gab ich das Wort »Herkules« ein und betätigte die Bildersuche.
    Bereits auf dem ersten aufgelisteten Bild blickte mich eine Statue an, die genau wie die kleine Holzfigur aussah.
    Julia, die sich inzwischen aufgerichtet hatte und zu mir gerutscht war, nahm die Figurine und betrachtete sie. »Guck mal, die kleine Herkules-Figur hier sieht genauso aus wie die große Statue auf dem Foto, die in Kassel steht!«
    »Orffyreus erwähnt den Herkules auch in seinem Buch!«, sagte ich und öffnete den auf meinem Laptop gespeicherten Text der fehlenden Platten. »Schau, hier ist es.« Ich las laut vor:
    »Vnd ist die Kraft des Herakles doch Vnbändig/
    FIndet das GeheImnis sich Inwändig/
    Dann sInd die UngläVbigen endlich nIcht mehr VnVerständig.»
    »Herakles ist der griechische Ausdruck für Herkules«, merkte Julia an.
    »Ganz genau!«, frohlockte ich. »Diese Figur, die du gerade in der Hand hältst, ist heute das Wahrzeichen der Stadt Kassel.«
    »Und was bedeutet das nun, dass es in der Sammlung von Scheffler eine Holzfigur von dieser Statue gab?«
    Ich überlegte kurz, dann zuckte ich mit den Schultern. »Keine Ahnung!«
    »Was steht denn im Internet über die Statue?«, fragte sie.
    Ich öffnete eine Webseite der Stadt Kassel und las laut vor: »Als Wahrzeichen über der Stadt Kassel thront Herkules auf der Pyramide, und seitdem verbindet man die Anlage auch mit der griechischen Mythologie. Ausgestattet wurde die Figur des Herkules mit den Insignien zweier seiner Taten. Mit der Keule, auf die er sich stützt, erschlug er den Nemëischen Löwen (erste Tat). Hinter dem Rücken trägt er in der rechten Hand die Äpfel der Hesperiden (elfte Tat). Aufstellungsdatum war der 30. November 1717.«
    Julia richtete sich urplötzlich auf, und auch ich fühlte mich wie vom Blitz getroffen.
    »30. 11. 1717«, las ich noch einmal vor.
    »30, 11 und 1717! Das sind die Summen der römischen Ziffern in den Büchern!«, rief Julia.
    »Und laut seinen Berichten in seinen Büchern lebte er damals auch in Kassel!«, ergänzte ich.
    »Orffyreus hat also in seinen Büchern ausgerechnet dieses Datum versteckt. Dann diese kleine Figur hier, aus Schefflers Orffyreus-Sammlung. Es scheint, als hätte der Herkules in Kassel etwas mit dem Geheimnis von Orffyreus zu tun!«
    »FIndet das GeheImnis sich Inwändig«, las ich noch ein weiteres Mal gedankenverloren vor.
    »Vielleicht ist ja etwas in der Herkules-Statue versteckt«, vermutete Julia.
    »Vielleicht«, antwortete ich. Ich nahm die kleine Holzfigur und schüttelte sie. Sie war massiv. Ich legte sie auf das Bett. Dann griff ich nach der Scheibe. »Und was bedeutet diese Scheibe, die auch in seinem Buch abgebildet ist?«
    Julia zuckte mit den Schultern.
    Ich legte Figur, Laptop und Scheibe auf den Nachttisch und ließ mich zurück aufs Bett fallen.
    »Wir sollten nach Kassel fahren und uns die Herkules-Statue näher anschauen!«, murmelte Julia. Sie schmiegte sich an mich und legte ihren Kopf auf meine Brust.
    Eine Weile lagen wir so da. Ich streichelte ihr über den Rücken. Dann wanderte meine Hand tiefer. Sie atmete ruhig und gleichmäßig.
    »Julia?«, flüsterte ich. Keine Antwort. Sie war eingeschlafen. Ich genoss Ihre Nähe, und wenig später schlief auch ich.
    Der noch eingeschaltete Laptop auf dem Nachttisch verlor unterdessen für kurze Zeit die Verbindung zum Mobilfunknetz. Sofort nahm der USB-Internetstick mit der nur vierhundert Meter entfernten, auf dem Dach eines Getreidesilos postierten Mobilfunkzelle Kontakt auf und übermittelte seine Kennung. Kaum war wieder eine Verbindung hergestellt, begann die kleine blaue Diode an der Oberseite des USB-Sticks in kurzen Intervallen zu blinken.

56
    Hannover, 1716
    Gärtner war erstaunt über die Ärmlichkeit, die das Haus ausstrahlte. Der kleine Garten war mit Unkraut zugewuchert und das steinerne Gebäude überall mit wildem Moos bewachsen. Einer der Fensterläden hing nur noch an einer Angel; auf dem Dach fehlte eine große Anzahl von Ziegeln.
    Die Gartenpforte stand halb offen, was, wie Gärtner feststellte, daran lag, dass die Scharniere derart eingerostet waren, dass sie sich nicht