Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)
Ausbildung beim Patentamt in München kennengelernt hatte. Er war der Freund einer Kollegin von mir, und wir hatten miteinander viele Stunden verbracht. Er stammte aus Zürich und arbeitete dort nun bei einer großen Bank. Mit wenigen Klicks fand ich seine Büronummer im Internet.
Leise schlich ich zum Telefon, das auf dem Schreibtisch in unserem Zimmer stand. Julia schien fest zu schlafen. Das Kabel des Telefons war sehr lang, sodass ich es in das Badezimmer tragen konnte und von dort anrief. Ich erreichte Stefan sofort, und er freute sich sehr, von mir zu hören. Ich gab vor, ein Jobangebot der Stiftung vorliegen zu haben und mich daher über sie informieren zu wollen. Da sie ihren Sitz in Genf hatte, hoffte ich, dass er mir weiterhelfen könnte. Er kannte die Stiftung erwartungsgemäß nicht, versprach aber, sich umzuhören. Bevor wir das Gespräch beendeten, gab ich ihm noch die Telefonnummer unserer Pension. Nachdem ich aufgelegt hatte, wählte ich noch einmal Ingrids Nummer. Wieder nahm sie nicht ab. Ich verließ das Bad und ging zurück in unser Zimmer. Julia hatte die Augen immer noch geschlossen und atmete ruhig. Zwar verspürte auch ich eine gewisse Müdigkeit, doch ich war viel zu aufgeregt, um schlafen zu können.
Ich holte den kleinen Herkules hervor. Da Scheffler ihn bei sich aufbewahrt hatte, war er wahrscheinlich einst im Besitz von Orffyreus gewesen. Auch auf die mysteriöse Scheibe, deren aufgemaltes Muster mich an das Zeichen für Radioaktivität erinnerte, konnte ich mir immer noch keinen Reim machen. Als ich mir nun die kleine Herkules-Statue noch einmal genauer anschaute, fiel mir zum ersten Mal in der Höhe des Bauchnabels ein Loch auf. Was es damit auf sich haben mochte, erschloss sich mir ebenfalls nicht.
So legte ich schließlich die Figur und die Scheibe zur Seite und griff nach dem Bausatz des Oktogons, den der Souvenirverkäufer uns geschenkt hatte. Er bestand aus mehreren Pappbögen, auf denen die einzelnen Bauteile in Farbe aufgedruckt waren. Sie waren an ihren Rändern perforiert und ließen sich durch leichtes Drücken aus den Bögen herauslösen. Die einzelnen Teile wiesen an den Seiten Laschen auf, an die man jeweils eines der übrigen Bauteile ankleben konnte. Ich blickte zu Julia: Sie schlief, und ich hatte nichts Besonderes zu tun; also beschloss ich, das Oktogon aus Pappe zusammenzubauen. In der Schublade des Schreibtisches fand ich eine Schere und eine Rolle mit transparentem Klebeband. Davon löste ich kleine Streifen und klebte sie in einer langen Reihe an die Kante des Schreibtisches. Dann begann ich, die Laschen der Bauteile mit den Klebestreifen zusammenzufügen.
Nach einer guten Stunde mühsamer Fingerarbeit stand vor mir das dreidimensionale Modell des Kasseler Oktogons. Es hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit einem riesigen achteckigen Donut, da der Innenhof in der Mitte ein rundes Loch bildete. Durch die aufgedruckten Steine und Fenster sah das Modell erstaunlich plastisch aus. An den Seiten waren die Treppenaufgänge originalgetreu nachgebildet, und oben auf der Pyramide thronte der Herkules. Dabei handelte es sich jedoch nicht um eine Miniaturstatue, sondern um ein flaches Kartonbild, das wie eine billige Comicfigur wirkte. Ich griff nach der kleinen Holzfigur, entfernte den Papp-Herkules und ersetzte ihn durch seinen hölzernen Zwilling. Mit einigen Streifen Klebeband gelang es mir, die Figur auf der Pyramide zu fixieren.
Julia seufzte laut hinter mir. Ich schaute nach ihr, doch sie hatte sich nur im Bett umgedreht. Eine Weile betrachtete ich das Modell mit dem Herkules, und erneut fiel mir das Loch im Bauch der Figur auf. Ich nahm die Holzscheibe in die Hand: Sie hatte eine Dicke von etwa anderthalb Zentimetern und in der Mitte ebenfalls ein Loch, sodass sie mich an ein Rad erinnerte. In diesem Augenblick hatte ich eine Idee. Ich öffnete erneut die Schublade des Schreibtisches, durchsuchte sie und fand unter einem hässlichen grünen Ordner ein kleines Set mit Nähzeug. Ich entnahm eine der langen Nähnadeln und bohrte sie in das Loch des Rades. Die Öffnung war so klein, dass ich mit viel Kraft nachhelfen musste. Ich nahm die Nadel und steckte das andere Ende in das Loch in der Holzfigur. Nun war das Rad über die Nadel mit der Herkules-Figur verbunden. Ich gab dem Rad einen sanften Stoß und es begann, sich einige Millimeter zu drehen. Dann hielt es abrupt an. Ich stieß einen leisen Pfiff aus, bereute es aber sofort und schaute mich nach Julia um. Sie lag
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