Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)
meinen Freund weiterreiche.«
Mir war das nur recht, insbesondere wenn die Platten tatsächlich etwas wert waren. »Sie haben erwähnt, dass sie die beiden ersten Teile von diesem Orffyreus restauriert hätten. Wie hießen die noch? Apologische Poesie? «
»Poëtische Apologie« , verbesserte sie mich.
»Haben Sie die anderen beiden Teile noch hier?«, erkundigte ich mich vorsichtig.
Sie ging zu dem Bücherregal. Aus dem mittleren Fach entnahm sie einen grünen Schnellhefter und reichte ihn mir. »Dies sind Kopien. Die Originale stehen mittlerweile wieder in der Bibliothek in Kassel.«
Ich blätterte die ersten Seiten durch. Sie waren ebenfalls in der altertümlichen Frakturschrift gedruckt und glichen dem Schriftbild, das ich auf meinen Platten hatte erkennen können. »Kann ich mir das ausleihen?«
Sie nickte. »Ich schlage vor, dass ich mich melde, sobald mein Freund Ihre Platten begutachtet hat.«
»Gut!« Ich erhob mich und verstaute den Hefter in der Plastiktüte.
Mein Blick fiel auf einen knallgelben Aufkleber, der auf dem Schirm der Schreibtischlampe vor mir angebracht war. Er zeigte in seiner Mitte eine rote Sonne mit einem lachenden Gesicht. Drum herum stand der Schriftzug Atomkraft? Nein danke .
Ich zeigte auf den Aufkleber. »Wissen Sie, wer dieses Logo entwickelt hat?«, fragte ich
»Die Dänin Anne Lund; in den Siebzigern, glaube ich«, antwortete sie.
Nicht schlecht. Ich nickte. »Das Logo ist beim Patentamt als Bildmarke angemeldet. So etwas machen Patentanwälte wie ich.«
Nun neigte die Restauratorin den Kopf und sah mich fragend an. »Bildmarke?«
Inzwischen stand sie direkt neben mir. Mir fiel auf, dass sie eine sehr sportliche Figur hatte und etwas kleiner als ich war.
»Das ist der Fachausdruck für Bildlogos wie dieses, die vor Nachahmung geschützt werden sollen«, entgegnete ich. »Weil es als Bildmarke angemeldet ist, muss jeder, der dieses Logo verwenden will, an die Stiftung von Anne Lund eine symbolische Lizenzgebühr zahlen. Die Einnahmen werden dann von ihr in Anti-Atomkraft-Projekte investiert!« Dies lernt man als Patentanwalt in der Markenvorlesung.
»Gut so!«, sagte sie.
»Sie sind also gegen Kernenergie?«
»Sie offenbar nicht!«, antwortete sie etwas schnippisch.
»Wie kommen Sie darauf?«, fragte ich verblüfft.
»Weil Sie das Wort ›Kernenergie‹ benutzen. Niemand, der ernsthaft gegen Atomkraft ist, benutzt diesen Ausdruck.«
Ich war irritiert. »Das meint wohl dasselbe, oder etwa nicht?«, hielt ich selbstbewusst dagegen. Immerhin hatte ich Physik studiert und verfügte somit bei diesem Thema über gewisse Grundkenntnisse.
»Der von Ihnen verwendete Begriff ›Kernenergie‹ ist ein bloßer Euphemismus der Atomwirtschaft.«
»Euphemismus?«, fragte ich verblüfft.
»Schönfärberei. Früher sagten noch alle ›Atomenergie‹ oder ›Atomkraft‹. Selbst die Energieunternehmen. Erst als in den Siebzigerjahren die Bedrohung der atomaren Aufrüstung wuchs und immer mehr Menschen bei dem Wort ›Atom‹ an Atombomben dachten, erfand die Energieindustrie neue Begriffe. Seitdem heißen ›Atomkraftwerke‹ offiziell ›Kernkraftwerke‹, und aus der ›Atomkraft‹ wurde die ›Kernenergie‹. ›Kern‹ klingt doch irgendwie unschuldiger. So wie ›Apfelkern‹ oder ›kerngesund‹.«
»Sei ’s drum. Nun steigen wir ja nach Fukushima endlich aus.«
»Leider viel zu spät«, erwiderte sie kampfeslustig.
Ich legte es nicht auf weitere Diskussionen über die Sicherheit der Kernenergie an und nickte nur. Kurz überlegte ich, ob mir zum Abschied noch irgendetwas Nettes einfiel, und als ich nichts fand, wandte ich mich zum Gehen.
»Ihre Telefonnummer bitte noch – damit ich Sie anrufen kann, wenn mein Freund aus Mainz sich gemeldet hat«, sagte sie und griff nach einem Stift. »Mein Freund« also, dachte ich. Rasch diktierte ich ihr meine Mobilfunknummer, die sie auf einen Zettel notierte.
»Und Ihr Name?«
»Robert Weber.«
Sie schrieb ihn dazu und nickte zufrieden. Dann hielt sie mir ihre Hand zum Abschied entgegen. »Hat mich gefreut, Herr Weber. Ich melde mich dann.«
Sie lächelte mich an, und ihr Händedruck war zarter, als ihre forsche Art vermuten ließ.
»Bis dann«, sagte ich ebenfalls mit einem Lächeln und verabschiedete mich. Aus irgendeinem Grund schlug mein Herz schneller.
Kaum hatte ich den nur schwach ausgeleuchteten Gang des Verwaltungstrakts hinter mir gelassen und war durch eine Glastür zurück in den Lesebereich der Bibliothek
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