Das Rad der Zeit 0. Das Original: Der Ruf des Frühlings. Die Vorgeschichte (German Edition)
aus feiner blauer Wolle, schlicht, aber von gutem Schnitt, zwei davon mit Reitröcken, und sie zog eines von denen mit normalen Röcken an und legte das Aufgenommenenkleid mit dem Streifen zusammengefaltet in den Wäschekorb aus Weide. Das kleine Notizbuch nahm sie aus der weißen Gürteltasche, die man ebenfalls holen würde, und schob es in die schlichte blaue Tasche, die sie in dem geräumigen Wandschrank fand. Selbst hier – vor allem hier – schien es keinen sichereren Ort zu geben als an ihrem Körper. Das neue Kleid saß perfekt, was keine große Überraschung war. Es hieß, dass die Burg mehr über ihre Schützlinge wusste als deren Schneiderinnen und Frisöre zusammen. Nicht, dass sie in der letzten Zeit welche gehabt hätte, ein Mangel, den sie zu beseitigen dachte. Zumindest eine Schneiderin. Sie hatte sich daran gewöhnt, das Haar offen zu tragen, aber sie würde mehr als vier Kleider brauchen, wenn sie Tar Valon verließ, und zwar in etwas Besserem als Wolle. Seide war zwar nicht billig, aber sie ließ sich wunderbar tragen.
Sie holte ihren Lieblingsschmuck aus dem verzierten Schmuckkästchen, ein Kesiera . Sie hatte immer bedauert, es hier nicht tragen zu können, aber selbst nach sechs Jahren erinnerten sich ihre Hände, wie sie die dünne Goldkette in ihr Haar einfädeln musste, damit der kleine Saphir in der Mitte ihrer Stirn hing. Das alterslose Gesicht mochte ihr noch fehlen, aber jetzt sah sie wie Lady Moiraine Damodred aus, und Lady Moiraine Damodred hatte im Sonnenpalast navigiert, wo einen die verborgenen Strömungen selbst im Alter von fünfzehn oder sechzehn in die Tiefe ziehen konnten. Jetzt war sie bereit, durch die hier befindlichen Strömungen zu navigieren. Sie legte sich die Stola über die Schultern, begab sich auf die Suche nach Siuan und fand sie im Korridor, in die eigene Stola gehüllt, wie sie ihr entgegenkam.
Die erste Schwester, die ihnen begegnete, Natasia, eine schlanke Saldaeanerin mit dunklen, schräg stehenden Augen und hohen Wangenknochen, die eine nachsichtige Lehrerin war, beschrieb ihnen den Weg zu Eadyths Gemächern mit einem leichten, widerwilligen Verziehen der Lippen. Moiraine fragte sich, ob Natasia etwas gegen Eadyth hatte, was sie doch sicherlich nicht in aller Öffentlichkeit zeigen würde, aber Eadyth wiederholte die Geste auf fast gleiche Weise, als sie sie zu den hohen, gepolsterten Stühlen vor dem großen Kamin ihres Wohnzimmers geleitete, in dem die Flammen tanzten. Und dann stand sie da und wärmte sich die Hände, als würde sie nicht anfangen wollen. Weder wurde Tee noch Wein oder gar ein Willkommensgruß entboten. Siuan rutschte unruhig auf der Stuhlkante herum, aber Moiraine zwang sich zur Ruhe. Es fiel schwer, aber sie schaffte es. Im Sitzen war das Korsett der Drei Eide besonders eng. Sei still, hör zu und beobachte.
Eadyths Wohnzimmer war größer als die ihren, mit einem Sims aus Schaumkronen und zwei Wandbehängen mit Blumen und hellbunten Vögeln; allerdings waren ihre Kandelaber schlicht. Die massiven Möbel bestanden aus dunklem Holz mit Intarsien aus Elfenbein und Türkis; die einzige Ausnahme bildete ein zierlicher kleiner Tisch, der aus geschnitztem Elfenbein oder Knochen zu bestehen schien. Wie lange Eadyth diese Räume auch schon bewohnen mochte, sie hatte eine persönliche Note hineingebracht, hier eine hohe gelbe Vase aus funkelndem Meervolk-Porzellan und auf dem Kaminsims eine große Schale aus gehämmertem Silber und ein Paar Kristallfiguren, ein Mann und eine Frau, die die Hand nacheinander ausstreckten. Was Moiraine nicht mehr verriet, als dass die weißhaarige Schwester Geschmack bewies und Zurückhaltung kannte. Sei still, hör zu und beobachte.
Siuan rutschte noch immer auf ihrem gepolsterten Stuhl herum und schien gerade aufstehen zu wollen, als sich Eadyth endlich zu ihnen umdrehte. Sie verschränkte die Arme unter der Brust und holte tief Luft. »Sechs Jahre lang hat man Euch beigebracht, dass die zweitschlimmste Taktlosigkeit darin besteht, offen über die Stärke einer Person in der Einen Macht zu sprechen.« Wieder verzogen sich ihre Lippen kurz. »Tatsächlich finde ich es sehr schwer, selbst jetzt darüber zu sprechen, obwohl es notwendig ist. Sechs Jahre lang hat man Euch mit aller Kraft entmutigt, über Eure eigene Stärke in der Macht nachzudenken oder über die einer anderen Person. Jetzt müsst Ihr lernen, Eure Kraft mit der jeder Schwester zu vergleichen, die Euch begegnet. Nach einiger Zeit wird das für
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