Das Rad der Zeit 12. Das Original: Sturm der Finsternis (German Edition)
fehlte nicht viel an dem Eindruck, dass es in dem Zimmer dunkel geworden war.
»Aber …« Sie ertappte sich dabei zu stottern. »Aber Ihr tötet keine Frauen. Das weiß jeder. Ihr schickt ja kaum die Töchter in Gefahr, weil Ihr Angst habt, sie könnten verletzt werden!«
»Ich wurde gezwungen, diese besondere Neigung zu revidieren«, sagte al’Thor. »Mit Beginn des heutigen Abends.«
»Aber …«
»Cadsuane«, sagte er leise. »Haltet Ihr es für möglich, dass ich Euch töten könnte? Hier, auf der Stelle, ohne ein Schwert oder die Macht zu benutzen? Haltet Ihr es für möglich, dass sich das Muster nur aufgrund meines Willens um mich herum krümmt und Euer Herz anhält? Als wäre es ein … Zufall?«
Ta’veren zu sein funktionierte nicht auf diese Weise. Beim Licht! Das tat es doch nicht, oder? Er konnte doch nicht das Muster seinem Willen unterwerfen?
Aber als sie jetzt seinen Blick erwiderte, glaubte sie es. Im Widerspruch zu aller Logik schaute sie in diese Augen und wusste, dass sie sterben würde, wenn sie jetzt nicht ging.
Sie nickte langsam und hasste sich dafür, fühlte sich auf eine seltsame Weise schwach.
Er wandte sich von ihr ab und schaute wieder aus dem Fenster. »Sorgt dafür, dass ich Euer Gesicht nie wiedersehe. Nie wieder, Cadsuane. Ihr dürft jetzt gehen.«
Benommen drehte sie sich um – und aus dem Augenwinkel sah sie eine undurchdringliche Dunkelheit aus al’Thor sickern, die die Luft noch mehr verzerrte. Als sie noch einmal hinsah, war sie verschwunden. Mit zusammengebissenen Zähnen ging sie.
»Bereitet Euch und Eure Armeen vor«, sagte al’Thor zu jenen, die geblieben waren, und seine Stimme hallte aus dem Raum hinter ihr. »Ich habe vor, am Ende der Woche aufzubrechen.«
Draußen auf dem Korridor hielt sich Cadsuane den Kopf und lehnte sich mit pochendem Herzen an die Wand. Ihre Hand schwitzte. Bis jetzt hatte sie gegen einen sturen, aber gutherzigen Jungen gearbeitet. Jemand hatte dieses Kind genommen und es durch diesen Mann ersetzt, ein Mann, der gefährlicher war als alle, die ihr je begegnet waren. Jeden Tag entglitt er ihnen mehr.
Und im Augenblick hatte sie verdammt noch mal nicht die geringste Idee, was man dagegen tun sollte.
KAPITEL 24
Eine neue Verpflichtung
E rschöpft von einem zwei Tage langen Ritt saß Gawyn auf Herausforderer, auf einem niedrigen Hügel südwestlich von Tar Valon.
Der Frühlingsbeginn hätte das Land grünen lassen müssen, aber der Hang vor ihm trug lediglich dem Winter zum Opfer gefallenes Unkraut. Hier und da lugten Eibe und Schwarzholz hervor und durchbrachen die braune Landschaft. Er zählte mehr als nur ein paar Baumgruppen, wo nur noch Stümpfe standen. Ein Kriegslager verschlang Bäume wie hungrige Holzgnarle, brauchte sie für Pfeile, Lagerfeuer, Baracken und Belagerungsgerät.
Gawyn gähnte – er hatte die ganze Nacht ein schnelles Tempo vorgelegt. Brynes Kriegslager hatte sich hier gut eingegraben, und es herrschte emsiger Betrieb. Eine so große Armee brachte bestenfalls organisiertes Chaos hervor. Eine kleine Gruppe Kavallerie konnte ohne großes Gepäck reisen, so wie es Gawyns Jünglinge getan hatten; eine derartige Streitmacht konnte zu mehreren Tausend Mann anwachsen und trotzdem schlank bleiben. Erfahrene Reiter wie die Saldaeaner konnten angeblich größere Kontingente von sieben- oder achttausend Reitern bilden und ihre Beweglichkeit behalten.
Aber eine Streitmacht wie die da unten war eine ganz andere Sache. Sie war ein riesiges, sich ausbreitendes Etwas in der Form einer gewaltigen Blase mit einem kleineren Lager in der Mitte, in dem vermutlich die Aes Sedai untergebracht waren. Bryne hatte ebenfalls sämtliche Brückenstädte auf beiden Seiten des Erinin besetzt und damit die Insel effektiv von jeder Versorgung abgeschnitten.
Das Heer hockte vor Tar Valon, wie eine Spinne, die einen direkt vor ihrem Netz herumflatternden Schmetterling betrachtete. Berittene Abteilungen trafen ein oder brachen auf, gingen auf Patrouille, kauften Lebensmittel und überbrachten Nachrichten. Aberdutzende Schwadrone, manche zu Pferd, manche zu Fuß. Wie Bienen, die den Stock verließen, während andere wieder hineinschwärmten. An der Ostseite des Lagers drängte sich ein Mischmasch aus Hütten und Zelten, der übliche Abschaum aus Lagergefolge, den jedes Heer anzog. In seiner Nähe, direkt hinter der Grenze des Hauptlagers, erhob sich eine kreisförmige hohe Palisade, die vielleicht einen Durchmesser von fünfzig Spannen
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