Das Rad der Zeit 5. Das Original: Die Feuer des Himmels (German Edition)
aufzuschneiden, konnte man denken, sie hätten den ganzen Tag über Zeit, am Tisch zu sitzen.
Plötzlich riss Elayne die Augen vor Schreck weit auf, und das kurze Obstmesser fiel klappernd auf den Tisch. Nynaeve fuhr herum und sah, dass ein Mann auf der gegenüberliegenden Bank an ihrem Tisch Platz nahm.
»Ich dachte mir doch, dass du das bist, Elayne, nur hat mich das Haar zunächst etwas verwirrt.«
Nynaeve starrte Galad an, Elaynes Halbbruder. Anstarren war der passende Ausdruck dafür. Hochgewachsen und schlank wie eine Stahlfeder, dunkelhaarig und dunkeläugig, war er der bestaussehende Mann, den sie je kennengelernt hatte. Gutaussehend war noch zu schwach ausgedrückt: Er sah fantastisch aus. Sie hatte gesehen, wie sich in der Burg die Frauen um ihn drängten, sogar Aes Sedai, und alle hatten Augen gemacht wie die Mondkälber. Sie hörte bei dem Gedanken an die anderen sofort mit Lächeln auf. Doch sie konnte nichts gegen die Beschleunigung ihres Herzschlags unternehmen oder wenigstens wieder gleichmäßig atmen. Sie empfand nicht das Geringste für ihn, aber er war derart schön! Beherrsche dich, Frau!
»Was macht Ihr denn hier?« Sie war froh, dass es sich nicht wie erstickt anhörte. Es war nicht fair, dass ein Mann so gut aussah.
»Und wieso trägst du so etwas ?« Elaynes Stimme war leise, aber trotzdem beißend.
Nynaeve riss noch einmal die Augen auf, denn erst jetzt wurde ihr bewusst, dass er einen hochglänzenden Harnisch trug und dazu einen weißen Umhang mit zwei goldenen Rangknoten unter der strahlenden Sonnenscheibe. Sie spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg. Einen Mann so fasziniert anzustarren, dass sie noch nicht einmal seine Kleidung bemerkte! Sie hätte vor Scham am liebsten ihr Gesicht verborgen.
Er lächelte, und Nynaeve musste tief Luft holen. »Ich bin hier, weil ich zu den Kindern gehöre, die aus dem Norden zurückgerufen wurden. Und ich gehöre zu den Kindern des Lichts, weil es der richtige Weg zu sein schien. Elayne, als du und Egwene verschwunden wart, haben Gawyn und ich nicht lange gebraucht, um herauszufinden, dass ihr keineswegs Strafdienst auf einem Bauernhof leisten musstet, auch wenn man uns das weismachen wollte. Sie hatten kein Recht, dich in ihre Intrigen einzubeziehen, Elayne. Keine von Euch.«
»Ihr scheint sehr schnell einen Offiziersrang erreicht zu haben«, sagte Nynaeve. War dem törichten Mann nicht klar, dass dieses Geschwätz von den Intrigen der Aes Sedai ihnen beiden hier ganz leicht den Tod einbringen konnte?
»Eamon Valda schien zu glauben, dass meine Erfahrung es rechtfertige, gleich, wo ich sie gewonnen hatte.« Sein Achselzucken ließ den Rang als unwichtig erscheinen. Es war, genau gesprochen, keine Bescheidenheit, aber auch kein Vorwand. Er war unter den Schülern der Behüter in der Burg der beste Schwertkämpfer gewesen, aber auch sehr gut in Strategie und Kampftaktik, doch Nynaeve konnte sich nicht daran erinnern, dass er je mit seinen Fähigkeiten angegeben hätte, noch nicht einmal im Scherz. Das Erreichte bedeutete ihm nichts, vielleicht, weil es ihm so leicht fiel.
»Weiß Mutter davon?«, wollte Elayne wissen, immer noch mit gefährlich leiser Stimme. Ihre Miene hätte allerdings auch einem wilden Keiler Angst eingejagt.
Galad rutschte nur ein ganz klein wenig nervös auf der Bank umher. »Ich hatte noch gar keine Zeit, ihr zu schreiben. Aber sei nicht so sicher, dass sie etwas dagegen haben wird, Elayne. Sie steht nicht mehr auf so gutem Fuße mit dem Norden wie früher. Ich hörte sogar, dass ein gesetzlicher Bannspruch im Gespräch sei.«
»Ich habe ihr einen Brief mit Erklärungen geschrieben.« Elaynes zorniges Funkeln hatte einem fragenden Blick platzgemacht. »Sie muss es doch verstehen. Sie wurde doch selbst auch in der Burg ausgebildet.«
»Sprich leiser«, sagte er mit leiser und harter Stimme. »Vergiss nicht, wo du dich befindest.« Elayne lief dunkelrot an, aber Nynaeve wusste nicht, ob aus Ärger oder Verlegenheit.
Mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass er genauso leise wie sie gesprochen hatte und sich auch vorsichtig ausdrückte. Er hatte nicht ein einziges Mal die Burg erwähnt oder die Aes Sedai.
»Ist Egwene bei Euch?«, fuhr er fort.
»Nein«, erwiderte sie, und er seufzte tief.
»Ich hatte gehofft … Gawyn war beinahe außer sich vor Sorge, als sie verschwand. Ihm liegt auch viel an ihr. Sagt Ihr mir, wo sie sich aufhält?«
Nynaeve bemerkte das ›auch‹ sehr wohl. Der Mann war wohl ein Weißmantel
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