Das Rad der Zeit 5. Das Original: Die Feuer des Himmels (German Edition)
Stadt mit hohen Mauern, und ebenfalls ein Überbleibsel aus der Zeit, als man Cairhien noch gestattete, Karawanen in das Dreifache Land zu entsenden. Damals war Reichtum von Shara aus über die Seidenstraße nach Westen geflossen. Über der Stadt schienen Vögel zu schweben, und die graue Stadtmauer wies in regelmäßigen Abständen dunkle Flecken auf. Mat stand in Pips’ Steigbügeln, spähte unter dem Schatten der breiten Hutkrempe den Pass hinauf und runzelte die Stirn. Lans hartes Gesicht zeigte keinerlei Regung, doch er schien genauso eindringlich und aufmerksam hinaufzublicken. Ein Windstoß, der hier etwas Kühle mit sich brachte, wickelte seinen farbverändernden Umhang um seine Gestalt, und einen Augenblick lang verschwand er fast von den Schultern bis an die Stiefelschäfte, weil er farblich mit dem steinigen Abhang und den spärlich Dornbüschen verschmolz.
»Hört Ihr mir überhaupt zu?«, fragte Moiraine plötzlich und lenkte ihre weiße Stute näher zu ihm heran. »Ihr müsst …!« Sie atmete tief durch. »Bitte, Rand. Es gibt so viel, das ich Euch sagen muss, so viel, was Ihr wissen müsst.«
Die Andeutung einer Bitte in ihrem Tonfall ließ ihn aufblicken und sie ansehen. Er erinnerte sich noch an die Zeit, da er von ihrer Gegenwart und Persönlichkeit überwältigt gewesen war. Nun erschien sie ihm trotz ihres wahrhaft königlichen Benehmens recht klein. Eine Dummheit, wenn er jetzt ihr gegenüber auch noch Beschützergefühle entwickelte. »Wir haben noch genug Zeit dafür, Moiraine«, sagte er sanft. »Ich glaube bestimmt nicht, genauso viel über unsere Welt zu wissen wie Ihr. Ich will Euch von jetzt an immer nahe bei mir wissen.« Ihm war nur entfernt bewusst, welch große Veränderung das darstellte, nachdem sie vorher ihn nahe bei sich halten wollte. »Aber gerade jetzt habe ich etwas anderes im Sinn.«
»Selbstverständlich.« Sie seufzte. »Wie Ihr wünscht. Wir haben noch genug Zeit.«
Rand trieb den Apfelschimmel zum Trab an, und die anderen folgten seinem Beispiel. Auch die Planwagen beschleunigten ihre Fahrt, wenn sie ihm auch am Hang nicht mehr folgen konnten. Asmodeans – Jasin Nataels – flickenbedeckter Gauklerumhang flatterte hinter ihm wie das Banner, dessen Stock er auf den Steigbügel gestützt hatte: leuchtend rot, mit dem schwarzweißen Emblem der früheren Aes Sedai in der Mitte. Er machte allerdings eine mürrische Miene, denn es war ihm überhaupt nicht recht, zum Bannerträger erwählt zu werden. Die Weissagung von Rhuidean sagte aus, dass er unter diesem Zeichen seine Eroberung antreten werde, und vielleicht würde es auch die Menschen nicht so erschrecken wie die Drachenflagge, das Banner Lews Therins, die er über dem Stein von Tear flatternd zurückgelassen hatte. Dieses Wappen hier würden nur wenige auf Anhieb erkennen.
Die dunklen Flecken an der Stadtmauer Taiens waren Leichen, im Todeskampf gekrümmt, in der Sonne aufgedunsen. Sie waren in einer Reihe, die die ganze Stadt zu umspannen schien, aufgehängt worden. Die Vögel waren Raben mit tiefschwarz schimmerndem Gefieder, und dazu Geier mit blutbesudelten Köpfen und Hälsen. Einige Raben hatten sich an Leichen festgekrallt und fraßen, ohne sich von den Neuankömmlingen stören zu lassen. Der süßliche Verwesungsgestank verpestete die trockene Luft. Auch beißender Rauch hing noch dazwischen. Eisenbeschlagene Tore standen offen und gaben den Blick auf ein wahres Trümmerfeld frei, auf rußgeschwärzte Steingebäude und eingestürzte Dächer. Nichts rührte sich dort außer den Vögeln.
Genau wie Mar Ruois. Er bemühte sich, diesen Gedanken abzuschütteln, doch im Geist sah er diese mächtige Stadt nach ihrer Rückeroberung, wie sich die riesenhaften Turmbauten schwarz färbten und zusammenbrachen, wie an jeder Straßenkreuzung die Überreste großer Feuer schwelten. Dort hatte man diejenigen gefesselt und lebendig hineingeworfen, die sich geweigert hatten, dem Schatten Gefolgschaft zu schwören. Er wusste, aus wessen Erinnerungen diese Bilder stammten, auch wenn er darüber nicht mit Moiraine gesprochen hatte. Ich bin Rand al’Thor. Lews Therin Telamon ist seit dreitausend Jahren tot. Ich bin eine eigenständige Person! Diese Schlacht wollte er auf jeden Fall gewinnen. Wenn er schon am Shayol Ghul sterben sollte, dann als er selbst. Er zwang sich, an etwas anderes zu denken.
Ein halber Monat war vergangen, seit er Rhuidean verlassen hatte. Ein halber Monat, und das, obwohl die Aiel zu Fuß von
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