Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
wehtut – Lews Therins Lachen klang wie ein heiseres Flüstern –, lass es stattdessen jemand anderes spüren. Seine Verantwortung. Seine Pflicht. Er versteifte seinen Rücken, um diesen Berg davon abzuhalten, ihn zu erdrücken. »Hängt ihn morgen. Sagt ihm, ich hätte das angeordnet.« Er schwieg und blickte wütend drein, bis ihm klar wurde, dass er auf Lews Therins Antwort wartete und nicht auf die ihre. Wartete auf die Stimme eines toten Mannes, eines toten Verrückten. »Ich gehe zur Schule.«
Rhuarc wies darauf hin, dass die Weisen Frauen sich möglicherweise auf dem Weg von ihren Zelten hierher befänden, und Berelain stellte fest, die Adligen aus Tear und Cairhien würden sich darum reißen, herauszufinden, wo sie Rand versteckte. Doch er befahl beiden, bei der Wahrheit zu bleiben und anzuordnen, keiner solle ihm folgen. Er würde eben zurückkommen, wenn er es für richtig hielt. Die beiden wirkten, als hätten sie saure Pflaumen gegessen, doch er schnappte sich nur sein Drachenszepter und ging.
Im Gang sprangen Jalani und einer der Roten Schilde mit blondem Haar geschmeidig auf, wobei sie sich kurz anblickten. Bis auf die zwei war der Gang menschenleer. Nur ein paar Diener eilten gelegentlich geschäftig umher. Einer aus jeder Gemeinschaft, das ergab einen Sinn. Allerdings fragte Rand sich, ob Urien Sulin zuerst einen Ringkampf geliefert hatte, damit sie seinen Leuten einen Platz überließ.
Er bedeutete ihnen, ihm zu folgen, und ging dann hinunter zum nächstgelegenen Stall, wo selbst die Boxenwände aus dem gleichen grünen Marmor gefertigt waren wie die Säulen, die die hohe Decke stützten. Der Stallmeister, ein verdrießlicher Bursche mit großen Ohren, der auf der kurzen Lederweste die Aufgehende Sonne Cairhiens trug, wurde von Rands Erscheinen so überrascht, und noch dazu mit nur zwei Aiel als Eskorte, dass er ständig zum Stalltor hinübersah, ob nicht doch noch weitere kämen. Zwischen diesen Blicken verbeugte er sich unablässig, und Rand fragte sich schon, ob er jemals ein Pferd bekommen werde. Doch sobald der Mann schrie: »Ein Pferd für den Lord Drache«, sprangen sechs Stallburschen herbei, um einen hochrahmigen braunen Wallach mit feurigem Blick für ihn herzurichten. Das Zaumzeug war mit Goldfransen geschmückt, der Sattel enthielt Einlegearbeiten aus Gold und lag auf einem himmelblauen Satteltuch, das ebenfalls Fransen aufwies und reich mit goldenen Aufgehenden Sonnen bestickt war.
So schnell sie auch machten – der Stallmeister mit den großen Ohren war verschwunden, als Rand sich schließlich in den Sattel schwang. Möglicherweise suchte er nach dem Gefolge, das den Wiedergeborenen Drachen gewiss begleiten würde. Oder er wollte jemandem berichten, dass Rand den Palast fast ohne jede Begleitung verließ. So war das in Cairhien nun einmal. Der schlanke Braune tänzelte, doch während Rand ihn noch zu beruhigen versuchte, ließ er ihn bereits an überraschten Gardesoldaten vorbei aus dem Palastgelände schreiten. Er machte sich keine Gedanken darüber, ob ihn nach der Warnung des Mannes mit den großen Ohren vielleicht ein Hinterhalt von Attentätern erwarte. Jeder, der ihn in einen Hinterhalt locken wollte, würde zu der Erkenntnis gelangen, dass er ohne Schere zur Schur gekommen war. Eine Verzögerung hätte bedeutet, innerhalb kürzester Zeit einen Schwarm Adliger um sich zu haben, sodass er nicht ohne diese wegkam. Es war zur Abwechslung einmal ein gutes Gefühl, allein zu sein.
Er musterte Jalani und den jungen Aielmann, die neben dem Braunen hertrabten. Dedric, erinnerte er sich, ein Codara aus der Jaernriss-Sept. Fast allein. Er konnte Alanna noch immer spüren, und in weiter Entfernung beklagte Lews Therin den Tod seiner Ilyena. Er war niemals wirklich allein. Vielleicht nie mehr in seinem Leben. Trotzdem tat ihm nach so langer Zeit das bisschen Abgeschiedenheit gut.
Cairhien war eine große Stadt, deren Hauptstraßen so breit waren, dass die Menschen, die sie bevölkerten, ganz klein wirkten. Jede Straße durchschnitt pfeilgerade die Hügel, die so mit Steinwällen und Terrassen eingefasst waren, dass sie wie von Menschenhand gemacht wirkten. Sämtliche Straßen trafen sich in rechten Winkeln. Überall in der Stadt erhoben sich mächtige Türme, von Holzgerüsten umgeben, die die kunstvollen Erker und Vorsprünge mit ihren quadratischen Fensteröffnungen verbargen, Türme, die den Himmel zu berühren schienen und noch höher hinaufstrebten. Es war zwanzig Jahre her, da
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