Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
nicht liebte.
Ein paar Augenblicke lang saß Rand da und blickte die Tür an, die sich hinter Egwene geschlossen hatte. Sie hatte sich so verändert, seit sie als Kinder zusammen aufgewachsen waren. In dieser Aielkleidung hätte man sie für eine Weise Frau halten können – jedenfalls abgesehen von der Größe; eben eine kleine Weise Frau mit dunklen Augen –, aber andererseits hatte Egwene immer alles aus ganzem Herzen getan. Sie war so kühl geblieben wie eine echte Aes Sedai und hatte nach Saidar gegriffen, als sie sich von ihm bedroht gefühlt hatte. Daran würde er sich erinnern müssen. Welche Art von Kleidung sie auch trug, sie wollte doch eine Aes Sedai werden, und sie wahrte deren Geheimnisse, sogar dann, als er ihr klargemacht hatte, dass er Elayne benötigte, um zwei Ländern den Frieden zu bringen. Er musste sie von jetzt ab als Aes Sedai betrachten. Das machte ihn traurig.
Müde stand er wieder auf und zog noch einmal den Mantel an. Er musste noch die Adligen aus Cairhien treffen, Colavaere und Maringil, Dobraine und die anderen. Und die Tairener – Meilan und Aracome und diese Bande – würden ins Schwimmen kommen, wenn er denen aus Cairhien auch nur einen Augenblick mehr Zeit schenkte als ihnen. Und die Weisen Frauen wollten auch noch an die Reihe kommen, und Timolan sowie die anderen Clanhäuptlinge hier, die er heute noch nicht angetroffen hatte. Warum hatte er nur den Wunsch verspürt, Caemlyn zu verlassen? Ja, das Gespräch mit Herid hatte Spaß gemacht. Weniger die Fragen, die er dem Mann gestellt hatte, aber es tat bereits gut, mit jemandem zu reden, der sich nicht daran erinnerte, dass er der Wiedergeborene Drache war. Und er hatte ein bisschen Zeit gefunden, in der er keinen Rattenschwanz von Aiel hinter sich herziehen musste. Das würde er öfter tun.
Er erblickte sein Abbild in einem Spiegel mit vergoldetem Rahmen. »Wenigstens hast du dir nicht anmerken lassen, wie müde du bist«, sagte er zu seinem Spiegelbild. Das war einer der eindeutigsten Ratschläge Moiraines gewesen. Lasst Euch niemals eine Schwäche anmerken. Er musste sich eben nur daran gewöhnen, Egwene als eine der anderen zu betrachten.
Sulin kauerte im Garten unterhalb der Gemächer Rand al’Thors und warf ein kleines Messer auf irgendein Ziel am Boden. Damit schien sie sich die Langeweile zu vertreiben. Der Ruf einer Felseule brachte sie aber dazu, blitzschnell und mit einem Fluch auf den Lippen aufzuspringen, wobei sie das Messer in den Gürtel steckte. Rand al’Thor hatte seine Gemächer wieder verlassen. Ihn auf diese Art zu bewachen war wohl sinnlos. Hätte sie Enaila oder Somara mitgebracht, würde sie sie auf ihn ansetzen. Doch normalerweise versuchte sie, ihm diese Art von Unsinn vom Leibe zu halten und ihn wie ihren Erstbruder zu behandeln.
Sie trabte zum nächstgelegenen Eingang hinüber und schloss sich dort drei anderen Töchtern an – keine von denen, die sie mitgebracht hatte –, und dann fingen sie an, dieses Gewirr von Gängen nach ihm zu durchsuchen, aber so, dass es wirkte, als schlenderten sie nur gemächlich durch den Palast. Was der Car’a’carn auch wünschte: Dem einzigen Sohn einer Tochter des Speers, der je zu ihnen zurückgekehrt war, durfte auf keinen Fall etwas zustoßen.
KAPITEL 19
Toh regiert
R and glaubte, er werde diese Nacht gut schlafen können. Er war beinahe schon müde genug, um Alannas Berührung zu vergessen. Aviendha befand sich draußen bei den Weisen Frauen in ihren Zelten, statt sich wieder vor ihm auszuziehen, ohne auf seine Gefühle Rücksicht zu nehmen, und sie würde mit ihrem Atmen heute Nacht seinen Schlaf nicht stören. Etwas anderes allerdings brachte ihn dazu, sich unruhig hin- und herzuwälzen: Träume. Er legte immer ein Wachgewebe zum Schutz um seine Träume, um die Verlorenen von ihnen fernzuhalten – und auch die Weisen Frauen –, doch auch das konnte nicht fernhalten, was sich bereits darin befand. Im Traum sah er riesenhafte weiße Dinge wie gigantische Vogelschwingen ohne den Vogel, die über den Himmel segelten; große Städte mit unglaublich hohen Gebäuden, die im Sonnenschein leuchteten, und auf den Straßen huschten Gegenstände wie Käfer und platt gedrückte Wassertropfen einher. Er hatte all das bereits zuvor erblickt, und zwar innerhalb des riesigen Ter’angreals in Rhuidean, in dem er die Drachen auf seinen Unterarmen erhalten hatte, und er wusste, dass es sich um Bilder aus dem Zeitalter der Legenden handelte, doch diesmal war
Weitere Kostenlose Bücher