Das Rad der Zeit 8. Das Original: Der Weg der Klingen (German Edition)
anderem als daran zu haben, Kreise in ihre Linsen zu zeichnen.
Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Warum hatte Lord Bryne darauf bestanden, dass Siuan ihre Schuld abarbeitete, nachdem er erfahren hatte, wer sie war? Nur weil sie gesagt hatte, dass sie es tun würde? Es war eine widersinnige Vereinbarung, die es ihr jedoch ermöglichte, in seiner Nähe zu bleiben, wie nichts anderes es bewirkt hätte. Sie hatte sich ebenfalls schon oft gefragt, warum Bryne zugestimmt hatte, das Heer aufzustellen. Er musste gewusst haben, dass dadurch die Möglichkeit bestand, dass er mit dem Kopf auf dem Hackklotz enden könnte. Und warum hatte er ihr dieses Heer angeboten, einer jungen Amyrlin ohne wahre Autorität und ohne Freundin unter den Schwestern außer Siuan, soweit er wusste? Konnte die Antwort auf alle diese Fragen einfach sein, dass … er Siuan liebte? Nein. Die meisten Männer waren leichtfertig und unbeständig, aber das war wirklich widersinnig! Dennoch äußerte sie diese Vermutung, wenn auch nur, um Siuan zu belustigen. Vielleicht munterte es sie ein wenig auf.
Siuan schnaubte ungläubig. Es wirkte bei diesem hübschen Gesicht seltsam, aber niemand konnte so ausdrucksvoll schnauben wie sie. »Er ist keineswegs ein Dummkopf«, sagte sie trocken. »Tatsächlich trägt er einen klugen Kopf auf seinen Schultern. Er denkt meistens wie eine Frau.«
»Ich habe Euch noch immer nicht sagen hören, dass Ihr wieder zur Vernunft kommen wollt, Siuan«, beharrte Egwene. »Ihr müsst es auf die eine oder andere Weise tun.«
»Nun, natürlich werde ich das. Ich weiß nicht, was mit mir los war. Es ist nicht so, als hätte ich noch niemals zuvor einen Mann geküsst.« Plötzlich verengte sie ihre Augen, als erwarte sie, dass Egwene das bezweifelte. »Ich habe nicht mein ganzes Leben in der Burg verbracht. Es ist lächerlich! Über Männer zu plaudern, ausgerechnet heute Abend!« Sie spähte in ihre Schale und schien zum ersten Mal zu bemerken, dass sie Essen enthielt. Sie nahm einen Löffel voll und deutete dann auf Egwene. »Ihr müsst jetzt mehr denn je auf Eure Zeiteinteilung achten. Wenn Romanda oder Lelaine das Ruder ergreifen, werdet Ihr niemals wieder selbst darüber entscheiden.«
Ob lächerlich oder nicht – etwas hatte Siuans Appetit mit Sicherheit wiederhergestellt. Sie aß ihren Eintopf schneller auf als Egwene ihren, und kein Krümel des Brötchens entging ihr. Egwene merkte, dass sie ihre leere Schale sogar noch mit den Fingern ausgewischt hatte. Natürlich konnte sie nur noch die letzten Reste Linsen davon ablecken.
Es war sinnlos, die kommenden Geschehnisse des heutigen Abends noch einmal zu besprechen. Sie hatten so viele Male ersonnen und wiederholt verbessert, was Egwene wann sagen sollte, dass sie überrascht war, dass sie nicht davon geträumt hatte. Sie hätte ihren Teil gewiss im Schlaf beherrscht. Siuan beharrte dennoch darauf und näherte sich sehr weit dem Punkt, an dem Egwene sie würde zurechtweisen müssen, weil sie alles immer und immer wieder durchging und erneut Möglichkeiten aufbrachte, die sie schon hundertmal zuvor besprochen hatten. Seltsamerweise war Siuan jetzt sehr guter Stimmung. Sie versuchte sich sogar in ein wenig Humor, was für sie in letzter Zeit ungewöhnlich geworden war, obwohl einiges davon Galgenhumor war.
»Ihr wisst, dass Romanda einst selbst die Amyrlin werden wollte«, sagte sie. »Ich habe gehört, dass stattdessen Tamra Stola und Stab erhielt und sie sich deshalb wie eine Möwe, der man die Schwanzfedern gestutzt hat, in den Ruhestand zurückzog. Ich würde alles darauf verwetten, dass ihre Augen doppelt so stark hervortreten wie Lelaines.«
Und später sagte sie: »Ich wünschte, ich könnte dort sein, um sie alle wehklagen zu hören. Jemand wird das bald tun, und es wäre mir lieber, wenn es sie wären anstatt wir. Ich konnte noch nie gut singen.« Sie sang tatsächlich ein Bruchstück eines Liedes über jemanden, der über den Fluss einen Jungen erblickte, aber kein Boot besaß. Sie hatte recht – ihre Stimme war bestenfalls als nett zu bezeichnen, aber sie konnte keine Melodie halten.
Und noch später: »Es ist gut, dass ich jetzt solch ein unverbrauchtes Gesicht habe. Wenn dies böse endet, werden sie uns beide wie Puppen anziehen und uns auf ein Regal setzen, um uns zu bewundern. Natürlich könnten wir stattdessen auch ›Unfälle‹ erleiden. Puppen zerbrechen. Gareth Bryne wird sich jemand anderen suchen müssen, den er herumschubsen kann.« Sie lachte
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