Das Rad der Zeit 9. Das Original: In den Klauen des Winters (German Edition)
Glücklicherweise war es an diesem Tag windstill. Die Luft war kalt genug, um Elaynes Atem zu Nebel erstarren zu lassen, aber da selbst die Pflaster der schmaleren, gewundenen Gassen vom Schnee befreit worden waren, herrschte wieder Leben in der Stadt, waren die Straßen voller geschäftig umhereilender Menschen. Fuhrmänner und Kutscher zogen resigniert ihre Umhänge enger um sich, während sie sich langsam ihren Weg durch das Gewühl bahnten. Ein gewaltiger Wasserwagen, der nach den Geräuschen zu urteilen leer war, rumpelte vorbei auf dem Weg zu den Reservoires, um wieder für den Kampf gegen die viel zu häufig stattfindenden Brandstiftungen einsatzbereit zu sein. Ein paar Straßenhändler und Hausierer boten der Kälte die Stirn, um ihre Waren lautstark anzupreisen, aber die meisten Leute hatten es eilig, ihre Geschäfte zu erledigen, da sie so schnell wie möglich wieder in der Wärme ihrer Häuser sein wollten. Doch wer sich beeilte, kam deswegen noch lange nicht schnell voran. Die Stadt platzte aus allen Nähten, ihre Bevölkerung war so weit angestiegen, dass sie selbst Tar Valon übertraf. In einem solchen Gewimmel kamen selbst Berittene kaum schneller voran als ein Mann, der zu Fuß ging. Den ganzen Morgen hatte Elayne nur zwei oder drei Kutschen gesehen, die sich um jeden Fingerbreit vorankämpften. Wenn ihre Passagiere keine Invaliden waren oder noch Meilen vor sich hatten, waren sie Narren.
Jeder, der sie und ihre Gruppe sah, blieb zumindest einen Augenblick lang stehen; einige machten andere auf sie aufmerksam oder hoben Kinder hoch, damit diese dann eines Tages wiederum ihren Kindern erzählen konnten, dass sie sie gesehen hatten. Es war nur die Frage, ob sie sagen würden, sie hätten die zukünftige Königin gesehen oder bloß eine Frau, die für eine gewisse Zeit die Stadt beherrschte. Die meisten Leute starrten sie nur an, aber gelegentlich erhoben sich ein paar Stimmen, die »Trakand! Trakand!« riefen oder sogar »Elayne und Andor!« Mehr Jubel wäre besser gewesen, aber Schweigen war hämischem Gejohle vorzuziehen. Andoraner waren freimütige Menschen, erst recht die Caemlyner. Rebellionen waren ausgebrochen, und Königinnen hatten ihren Thron verloren, weil Caemlyner ihrem Unmut auf der Straße Luft machten.
Ein eisiger Gedanke ließ Elayne erzittern. Wer Caemlyn hält, hält Andor, besagte das alte Sprichwort; wie Rand bewiesen hatte, stimmte das nur bedingt, aber Caemlyn war Andors Herz. Sie hatte ihren Anspruch auf die Stadt geltend gemacht, auf den Türmen der äußeren Stadtmauer teilten sich das Löwenbanner und Trakands silberner Keilstein den stolzen Platz, aber noch hatte sie Caemlyns Herz nicht erobert, und das war viel wichtiger, als Stein und Mörtel zu besitzen.
Eines Tages werden sie mir alle zujubeln, versprach sie sich. Ich werde mir ihren Beifall verdienen. Doch an diesem Tag fühlten sich die dicht bevölkerten Straßen einsam an, da nur vereinzelte Rufe ertönten. Sie wünschte sich, Aviendha wäre bei ihr gewesen, nur um ihr Gesellschaft zu leisten, aber Aviendha sah keinen Sinn darin, auf ein Pferd zu steigen, bloß um durch die Stadt zu reiten. Davon abgesehen konnte Elayne sie spüren. Es fühlte sich anders an als der Bund mit Birgitte, doch sie konnte die Anwesenheit ihrer Schwester in der Stadt spüren, so wie man eine ungesehene Person fühlte, die sich im selben Raum aufhielt, und es war ein tröstendes Gefühl.
Ihre Begleitung rief ihren eigenen Teil an Aufmerksamkeit hervor. Nach vier Jahren als Aes Sedai hatte Sareithas dunkles, breites Gesicht noch nicht die Alterslosigkeit erreicht, und in ihrem kostbaren bronzefarbenen Wollgewand und mit der großen Brosche aus mit Saphiren besetztem Silber, die ihren Umhang zusammenhielt, sah sie aus wie eine erfolgreiche Kauffrau. Ihr Behüter Ned Yarman ritt direkt hinter ihr und er erregte auf jeden Fall Aufsehen. Er war ein hochgewachsener, breitschultriger junger Mann mit hellblauen Augen und korngelbem Haar, das in Locken bis auf die Schultern fiel; der schimmernde Behüterumhang, den er trug, ließ ihn wie ein körperloser Kopf aussehen, der über einem großen grauen Wallach schwebte. Teile des Pferdes waren dort, wo der Umhang über die Flanken fiel, ebenfalls nicht zu sehen. Es gab keinen Zweifel an seiner Identität oder dass seine Anwesenheit eine Aes Sedai ankündigte. Jedoch zogen die anderen, die um Elayne einen Kreis aufrechterhielten, während sie sich einen Weg durch die Menge bahnte, ebenfalls viele
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