Das Rätsel deiner Leidenschaft
die Glasgefäße aus den Armen und begann, sie ordentlich in die mit Stoff verkleideten Körbe einzuräumen, die sie zum Ausstellen benutzten. »Nein«, sagte sie und strich ihrer Tante stirnrunzelnd eine Strähne ihres graublonden Haars zurück. »Ich bin dem Mann gefolgt. Und landete nicht auf einem Ball, wie ich gedacht hatte, sondern in einer Spielhölle.« Sie unterrichtete Calliope über alles andere, auch die Wette, nur den Kuss verschwieg sie ihr.
»Du hast verloren?«
»Ja.« Sabine legte beruhigend eine Hand auf Calliopes Arm. »Aber ich werde mir etwas überlegen. Ich habe auch schon eine Idee. Sie wird Lydia nicht gefallen, aber ich glaube, ich werde einfach in sein Haus einbrechen. Madigan hat mich mit dieser Aufgabe betraut, und ich werde ihn und Agnes nicht enttäuschen.«
»Ich öffne jetzt die Türen, meine Damen«, sagte Lydia, als sie an ihnen vorbeirauschte und hinter dem Vorhang verschwand.
Lydia hatte die Rolle des Familienoberhauptes übernommen, als Sabines Mutter gestorben war. Sie war immer sehr besorgt um sie alle, und Sabine liebte sie dafür. Während das Geschäft geöffnet war, hielt sie sich allerdings meist im Hinterzimmer auf und kümmerte sich um die Bücher und die Bestellungen. Sie hatte sich bis jetzt nicht daran gewöhnen können, unter Engländern zu leben.
Sabine blickte ihrer Tante nach, bis sie sicher war, dass sie allein waren. »Aber ihr werdet mir bei meinem Plan alle helfen müssen.«
Angekündigt von dem Bimmeln winziger Glöckchen über der Tür, betrat ein hochgewachsener, gut gekleideter Herr den Laden.
»Wir reden heute Abend darüber«, flüsterte Sabine schnell.
Der Mann trug einen Hut, der sein Gesicht beschattete, was in der besseren Gesellschaft als ausgesprochen unhöflich galt, wie Sabine wusste. Ein wahrer Gentleman hätte seinen Hut im Laden abgenommen. Andere Kunden, allesamt Frauen, betraten das Geschäft und begannen, sich die Auslagen anzusehen. Es war genau wie in den letzten Wochen. Kaum öffneten sie die Türen, strömten die Kundinnen herein, und oft waren die Cremetiegel schon nach drei Stunden ausverkauft.
Der Mann ging sogleich zum nächststehenden Regal und nahm einen der kleinen Tiegel heraus, um ihn genauer zu betrachten. In dem kleinen, feminin eingerichteten Laden wirkte er besonders groß und breitschultrig, und sein dunkler Anzug hob sich scharf von den hellen Tüll- und Leinenstoffen ab, die Sabine und ihre Tanten für ihre Auslagen benutzten. Es war ein Geschäft für Frauen und er wirkte fast ein wenig fehl am Platze, als er den zierlichen Tiegel in seinen großen Händen hielt. Dennoch sah er sehr männlich aus.
Dann nahm er seinen Hut ab, und stahlblaue Augen begegneten Sabines Blick. Maxwell Barrett .
»Miss Tobias«, sagte er mit einem provokanten Grinsen.
»Sie haben mich gefunden«, erwiderte sie törichterweise. Schließlich hatte sie ihm ihren Namen genannt. Normalerweise wäre das zwar keine Garantie für eine erfolgreiche Suche, weil London eine dicht besiedelte Stadt war, aber die Erwähnung des Namens Tobias nahezu jeder Dame der Gesellschaft gegenüber hätte ihn auf jeden Fall zu ihrer Tür gebracht. Vielleicht war der Marquis verheiratet – etwas, was sie gestern nicht bedacht hatte, als sie ihn geküsst hatte.
»So scheint es.«
Nicht wirklich blond – aber auch nicht dunkelhaarig genug, um brünett genannt werden zu können –, war er so attraktiv, wie ein Mann es gerade noch sein durfte. Dennoch hatte er nichts Hübsches an sich. Mit seinem markanten Kinn und den tief liegenden Augen waren seine Züge unbestreitbar männlich. Sabine konnte nichts anderes tun, als dazustehen und ihn anzustarren. Gestern Nacht war ihr keineswegs entgangen, dass er ein gut aussehender Mann war, aber jetzt, bei Tageslicht ... Sie riss sich zusammen, ging die wenigen Schritte bis zur Ladentheke und stellte sich dahinter.
Er folgte ihr, wie auch Calliope, deren Augen glänzten und voller Neugier waren.
»Was wollen Sie?«, fragte Sabine mit gedämpfter Stimme, um die anwesenden Kundinnen nicht zu stören.
Er lachte und sah dann ihre Tante an. »Diese Dame unterbricht gestern Abend mein Pokerspiel und lenkt mich völlig ab, dann schlägt sie mir eine verrückte Wette vor, und nun will sie wissen, warum ich sie sprechen möchte.« Er lehnte sich an die Theke und bedachte Calliope mit einem hinreißenden Lächeln. »Wären Sie da nicht auch ein kleines bisschen neugierig?«
»Das wäre ich allerdings, mein Herr«, gab ihm
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