Das Rätsel deiner Leidenschaft
er kopfschüttelnd. »So was habe ich noch nie erlebt.«
»Na wunderbar. Können Sie mir dann vielleicht bitte sagen, wann der nächste Zug in diese Richtung fährt?« Sie musste zu Phinneas, und das so schnell wie möglich. Natürlich könnte sie auch eine Kutsche mieten, aber das bedeutete bestimmt eine zweitägige Fahrt. Der Zug war unvergleichlich schneller.
»Nicht vor morgen früh. Tut mir leid, Miss.« Der Mann zuckte mit den Schultern und schenkte ihr ein zerknirschtes Lächeln, wobei zwei Grübchen an seinen roten Wangen sichtbar wurden. »Oh, sehen Sie, da drüben ist der Herr, der den Waggon für sich hat reservieren lassen«, sagte er und zeigte mit einem dicken Finger über ihre Schulter.
Als Sabine sich umdrehte, sah sie niemand anderen als Maxwell Barrett an einer Säule lehnen. Er lächelte ihr zu und winkte.
Schnell nahm sie das Geld, das sie auf den Schalter gelegt hatte, wieder an sich und steckte es in ihr Portemonnaie. »Vielen Dank«, sagte sie zu dem Fahrkartenverkäufer, bevor sie zu Max hinüberging.
»Wofür halten Sie sich eigentlich?«, fuhr sie ihn an. Dann trat sie noch ein wenig näher und senkte ihre Stimme. »Verfolgen Sie mich etwa?«
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Ich muss nach Cornwall und ziehe es vor, auf solch langen Fahrten ungestört zu sein.«
»Sie wissen verdammt gut, dass ich heute nach Cornwall fahren wollte.« Sabine verschränkte ärgerlich die Arme vor der Brust. »Und deshalb werden Sie Ihre ›Ungestörtheit‹ mit mir teilen müssen. Und kommen Sie bloß nicht auf die Idee, mit mir darüber zu debattieren, denn das fehlte mir gerade noch.«
Max hob kapitulierend die Hände. »Wie Sie wollen.«
Ein Bahnbeamter in tadelloser schwarzer Uniform und Mütze erwartete sie auf dem Bahnsteig.
»Hier entlang, Sir. Ihr Waggon erwartet Sie«, sagte er und führte sie zu einem aufwendig ausgestatteten Abteil im vorderen Teil des Zuges.
Sabine machte große Augen, als sie einstieg. Dick gepolsterte, mit Samt bezogene Sitze standen sich in Vierergruppen gegenüber, und edle Holzvertäfelungen an den Wänden vermittelten den Eindruck von purem Luxus.
»Wenn ich sonst noch etwas für die Herrschaften tun kann ...?«, fragte der Bahnbeamte. Als Max den Kopf schüttelte, verbeugte sich der Mann und stieg wieder auf den Bahnsteig hinunter.
»Ich wusste gar nicht, dass man einen ganzen Waggon für sich allein haben kann«, bemerkte Sabine, als sie sich auf einem der mit Samt bezogenen Sitze niederließ.
»Das ist auch nicht üblich«, sagte Max mit einem breiten Grinsen, als er sich ihr gegenübersetzte.
Aber er hatte es ermöglicht, für viel Geld vermutlich, und nun würden sie die nächsten Stunden ganz allein miteinander sein. Sabine wusste, dass sie ihr Bestes tun musste, um auf der Hut zu sein. Max Barrett war charmant und bemerkenswert gut aussehend, und sie konnte sich nicht erlauben, sich von seinem sprühenden Geist und seinen verführerischen Blicken ablenken zu lassen. Schon gar nicht jetzt. Er mochte all das amüsant und unterhaltsam finden, aber für sie und ihre Familie ging es ums Überleben.
Ein paar Minuten später setzte der Zug sich ratternd in Bewegung. Sabine hielt sich an den Armlehnen fest, um nicht durchgeschüttelt zu werden, und blickte aus ihrem Fenster, als der Bahnhof und kurz darauf die geschäftigen Londoner Straßen an ihnen vorbeizogen.
»Was können Sie mir sonst noch über diese Wächter erzählen?«, fragte Max.
Sie blickte weiter aus dem Fenster, hinter dem nun schon viel schneller die Landschaft vorbeizog. Ihr Blick wurde verschwommen, unscharf, bis sie ihr eigenes Spiegelbild im Glas sah. Max wusste, dass sie ihm Informationen vorenthielt, sodass kein Grund bestand, das abzustreiten. »Ich kann und darf Ihnen nichts anderes sagen«, erwiderte sie daher nur.
»Dann wissen Sie also, wer die Wächter sind?«
Sabine nickte einmal kurz.
»Ihre Majestät? Ist sie eine Wächterin?«
»Du liebe Güte, nein!«, entfuhr es ihr. Die Idee war schlichtweg lächerlich. »Königin Victoria ist keine Atlantide.«
Er nickte, und für eine Weile sagte er nichts mehr. Sabine, die froh über sein Schweigen war, entspannte sich ein wenig.
»Sie sehen einen Feind in mir«, bemerkte er dann und begann, mit den Fingern auf der hölzernen Armlehne herumzutrommeln. »Das erzeugt auf jeden Fall ein spannendes Dilemma.«
»Ich sehe gar nichts in Ihnen«, entgegnete sie schroff. Aber das entsprach nicht ganz der Wahrheit, denn sie fand ihn
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