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Das Rätsel der dritten Meile

Das Rätsel der dritten Meile

Titel: Das Rätsel der dritten Meile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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ebenfalls nicht zu erreichen war, und bat schließlich, ihn mit einem der Professoren zu verbinden. Er hatte jedoch Pech auf der ganzen Linie. Sämtliche Mitglieder des Lehrkörpers schienen nach einem anstrengenden akademischen Jahr das dringende Bedürfnis nach einem Ortswechsel verspürt zu haben. Nachdem er den Hörer aufgelegt hatte, durchzuckte Morse plötzlich der wilde Gedanke, daß, falls jemand vorhätte, einen der ältlichen, unverheirateten Dons um die Ecke zu bringen’, die Ferien dafür geradezu ideal geeignet wären. Da es keine Ehefrau gab, die Alarm schlug, keine Söhne oder Töchter, die sich von irgendwoher meldeten und ihren Vater zu sprechen wünschten, und nicht einmal eine Vermieterin existierte, die eventuell die rückständige Miete reklamiert hätte, würde bis Mitte Oktober überhaupt niemand auf die Idee kommen, daß ihm etwas zugestoßen sein könnte.
    Andererseits — wer hatte schon Interesse daran, einen Professor umzubringen?
    Am Mittwoch, dem 23.Juli, zwei Tage nach seinem vergeblichen Anruf im Lonsdale College klingelte nachmittags bei Morse das Telefon. Es war Sergeant Lewis.
    «Wir haben hier eine Leiche, Sir, das heißt, eigentlich nur einen Teil...»
    «Wo sind Sie jetzt?»
    «In Thrupp, Sir. Das ist...»
    «Ich weiß selbst, wo das ist.»
    «Ich glaube, es wäre gut, wenn Sie kämen.»
    «Ich habe im Moment eine Menge Schreibkram zu erledigen; Sie sind doch ein erfahrener Mann, Lewis, ich denke, Sie werden auch ganz gut ohne mich fertig.»
    «Wir haben ihn aus dem Kanal gefischt.»
    «Ja, es ist wirklich immer wieder erstaunlich, wie viele Leute es gibt, die sich ins Wasser stürzen, ohne daß sie schwimmen können.»
    «Es sieht nicht so aus, als ob er ertrunken wäre, Sir», sagte Lewis ruhig.
    Morse gab sich geschlagen. «Ich komme», sagte er. Seufzend stand er auf, ging in den Hof, wo sein Lancia geparkt war, und machte sich auf den Weg nach Thrupp.

    Achtes Kapitel
    Mittwoch, 23.Juli

Morse, der den Anblick von Leichen scheut wie die Pest, muß sich notgedrungen überwinden und führt im Anschluß ein zynisches Gespräch mit einem alternden Pathologen.

    Etwa drei Kilometer nördlich von Kidlington auf der A 423 nach Banbury fuhrt rechts ab eine schmale Straße nach etwa vierhundert Metern zu einem Gasthaus mit Namen Boat Inn, das zusammen mit ungefähr zwanzig weiteren Häusern, einem Bauernhof sowie einer Außenstelle des Amtes für Wasserwesen die Ortschaft Thrupp bildet. Das Gasthaus liegt nicht mehr als etwa dreißig Meter vom Ufer des Oxford-Kanals entfernt und dient seit Jahrzehnten allen, die auf diesem unterwegs sind, als Rastpunkt. Waren das früher vor allem die Schiffer von den Schleppkähnen, die auf dem Hinweg Kohle aus den Midlands transportierten und auf dem Rückweg Bier aus den Oxforder Brauereien geladen hatten, so sind es heute meist private kleine Motoryachten und Vergnügungsdampfer.
    Morse bog, als er das Gasthaus erreicht hatte, zunächst nach rechts, dann nach links und folgte einem kleinen Sträßchen, das sich zwischen dem Kanal und einer Zeile schmaler, grauer Reihenhäuser hindurchwand. Normalerweise war Thrupp ein verschlafener Flecken, doch heute herrschte eine ominöse Geschäftigkeit. Schon von weitem erblickte Morse zwei auf dem Treidelpfad neben der kompakten Klappbrücke geparkte Polizeifahrzeuge, etwas dahinter, dort, wo die kleine Straße in einen grasbewachsenen Weg überging, stand mit rotierendem Blaulicht eine Ambulanz. Hätte Morse in diesem Augenblick geahnt, welcher Anblick ihn erwartete, er wäre wohl auf der Stelle wieder umgekehrt; denn so merkwürdig dies bei einem Mann mit seinem Beruf auch klingen mag, Morse litt neben einer unheilbaren Akro- sowie Arachnophobie unglückseligerweise auch noch unter einer voll ausgebildeten Nekrophobie.
    Eine Gruppe von etwa dreißig Menschen, die meisten wohl von den grellbunt angestrichenen Hausbooten, die längs des Kanals vertäut lagen, hielt respektvoll Abstand von der Stelle, wo sich einige Polizisten und zwei Sanitäter um ein leblos unter einer Plane verborgenes Bündel scharten. Morse drängte sich, ausnahmsweise einmal ganz Amtsperson, energisch an ihnen vorbei nach vom. Lewis, der ihn sofort gesehen hatte, kam ihm ein paar Schritte entgegen.
    «Eine üble Sache, Sir.»
    «Wissen wir schon, wer er ist?»
    «Nein, er hatte keine Papiere bei sich. Die Identifizierung wird bestimmt noch ein Riesenproblem — so wie er aussieht.»
    «Was reden Sie denn da für Unsinn! Zu einer

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