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Das Rätsel der dritten Meile

Das Rätsel der dritten Meile

Titel: Das Rätsel der dritten Meile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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großen Zahl von Socken ein neu aussehendes Paar herauszusuchen und einzustecken.
    Wieder zurück im großen Zimmer, ließ er seine Augen ohne erkennbare Absicht über die Bücherregale wandern und warf dann einen Blick in den Alkoven. Auf unerklärliche Art befriedigt von dem, was er sah, setzte er sich an den Schreibtisch, nahm ein frisches Blatt Papier, spannte es in Browne-Smiths kleine Reiseschreibmaschine und tippte einen Satz, dessen einziger Sinn darin bestand, daß er fast alle Buchstaben des Alphabets enthielt.
    Er verließ den Raum und zog die Tür hinter sich zu, ohne jedoch wieder abzuschließen. Ein plötzlicher scharfer Schmerz im linken Unterkiefer ließ ihn zusammenzucken, und instinktiv zog er sich, obwohl sich der bisher wechselhafte und feuchte Juli heute von seiner schönsten Seite zeigte und draußen die Sonne schien, den Schal hoch, so daß sein Gesicht halb verdeckt war. Während er noch da stand, bemerkte er, daß die Tür des gegenüberliegenden Apartments offenstand. Ein schmales Schild rechts neben der Klingel zeigte an, daß hier ein gewisser G. D. Westerby wohnte. Der Name war ihm doch gerade eben erst begegnet? Natürlich, das mußte der Mann sein, der vorhatte, sich bis Ende August in Griechenland zu aalen. Schnell entschlossen spähte Morse erst nach oben, dann nach unten und überquerte darauf mit wenigen leisen Schritten den Treppenabsatz.
    Auf der Schwelle zu Westerbys Apartment blieb er einen Augenblick lang stehen und lauschte. War da nicht eben ein Geräusch gewesen? Er spürte, wie ihn ein aus Kindertagen vertrauter ängstlicher Schauder überlief - das kam davon, wenn man verbotenerweise in fremden Räumen umherschnüffelte... Drinnen war es einen Augenblick still, dann ertönten plötzlich laute Hammerschläge. Mit einem Seufzer der Erleichterung stieß Morse die Tür auf. Er stand in einem Raum, ähnlich dem, den er soeben verlassen hatte, mit dem einzigen, allerdings wesentlichen Unterschied, daß dieser hier außer dem üblichen Mobiliar etliche teils offene, teils bereits geschlossene Umzugskisten enthielt. In der Mitte des Zimmers bemühte sich ein Junge von ungefähr siebzehn Jahren in einem Khaki-Overall ungeschickt, eine weitere Kiste zuzunageln. Bei Morse’ Eintritt blickte er nur kurz auf und fuhr dann in seiner Arbeit fort.
    «Entschuldige, ich möchte zu Mr. Westerby.»
    «Der ist verreist», sagte der Junge.
    «Ich bin ein... äh... Kollege von ihm. Ich dachte, ich träfe ihn vielleicht noch an. Na ja, Pech gehabt.»
    Darauf ließ sich nur schwer etwas sagen. Der Junge nickte denn auch nur ohne allzu großes Interesse und schlug stumm einen weiteren Nagel in den Kistendeckel.
    Morse sah sich unauffällig um. Die Übereinstimmung zwischen dem Zimmer drüben und diesem hier schien ihm bei näherem Zusehen geradezu grotesk. Nicht nur, daß Westerbys Schreibtisch in der gleichen Ecke stand wie der von Browne-Smith — offenbar war auch er mit einem größeren Opus beschäftigt, denn genau wie bei seinem Nachbarn gegenüber thronte auch auf seinem Schreibtisch ein fettes maschinengetipptes Manuskript. Daß Westerbys Reiseschreibmaschine dasselbe Modell war wie die von Browne-Smith, konnte Morse unter diesen Umständen schon nicht mehr überraschen. Einer plötzlichen Eingebung folgend, sagte er: «Laß mich mal durch, Junge, ich möchte Mr. Westerby eine kurze Nachricht hinterlassen.»
    Er zog aus seiner Tasche den Bogen mit dem eben auf Browne-Smiths Maschine geschriebenen Satz und tippte ihn noch einmal ab.
    Als er fertig war, wandte er sich wieder an den Jungen: «Ihr macht also seinen Umzug.»
    «Mhm.»
    «Eine ganze Menge, was?»
    «Alles Bücher!» schnaubte der Junge verächtlich.
    Die Kiste, die gerade verschlossen werden sollte, enthielt allerdings keine Bücher, sondern zerbrechliche Gegenstände, denn sie waren, bevor sie verstaut wurden, alle einzeln in Zeitungspapier eingeschlagen worden. Neben dieser Kiste stand eine zweite, die offenbar ebenfalls zum Transport empfindlicherer Gegenstände bestimmt war. Etliche kostbar aussehende Stücke aus Kristallglas warteten noch darauf, eingewickelt zu werden, andere lagen bereits verpackt in der Kiste. Morse warf einen neugierigen Blick hinein und stutzte. In der Mitte lag unübersehbar, wenn auch gut eingehüllt in die Wirtschaftsseiten der Times ein Gegenstand von der Größe eines mittleren Goldfischglases — oder auch eines Kopfes.
    «Es ist beruhigend zu sehen, daß Ihr so sorgfältig mit den Sachen

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