Das Rätsel der dritten Meile
Telefonzelle?» fragte Morse mißtrauisch.
«Ja, an der Ecke beim Pub.»
«Auf die Idee, daß es angebracht sein könnte, nachdem er Ihnen seinen Namen genannt hat, ihn nach seiner Adresse zu fragen, sind Sie wohl nicht gekommen, was? Ich rate Ihnen, Ihre Nase mal wieder in die Dienstvorschrift zu stecken. Da steht drin, worauf es ankommt, wenn man eine Anzeige aufnimmt.»
«Aber was soll ich denn machen, wenn...»
«Was glauben Sie, warum er aufgehängt hat?»
«Ich nehme an, er hatte keine passenden Münzen mehr.»
«Dann hätte er sich doch Geld wechseln und später noch einmal anrufen können.»
«Wahrscheinlich hat er angenommen, er habe bereits alles getan, was nötig war.»
«Und das ist mehr, als Sie von sich behaupten können, nicht wahr, Constable?»
Dickson zuckte resigniert die Achseln. «Vielleicht war er auch einfach froh, dort wegzukommen. Es gibt Leute, die ekeln sich vor Wasserleichen.»
Morse nickte; dem konnte er wirklich schlecht widersprechen.
«Was wird da im Kanal eigentlich geangelt?»
«Sie sagen, daß es bei der Brücke ein paar fette Hechte geben soll.»
«Ach! Und darf ich auch erfahren, wer sie sind?»
«Meine Jungs, Sir. Sie sind schon ein paarmal dort gewesen und haben versucht, einen zu erwischen.»
«Sind wohl scharf aufs Angeln, Ihre Jungs, was?»
Dickson nickte. Er begann, sich wieder etwas zuversichtlicher zu fühlen. «Ja, ja», sagte er lebhaft, «sie sind beide Mitglieder in der Oxford Pike Anglers’ Association.»
«So, so. Ist der Bursche, der angerufen hat, vielleicht auch zufällig Mitglied?»
Dickson räusperte sich verlegen. «Ehrlich gesagt, das weiß ich nicht, Sir.»
«Dann finden Sie es, verdammt noch mal, heraus!»
Morse drehte sich auf dem Absatz um und ließ Dickson einfach stehen. Kurz vor der Tür überlegte er es sich jedoch anders und kehrte noch einmal zurück. «Ach, übrigens... falls Sie den Anrufer tatsächlich ausfindig machen, dann spendiere ich Ihnen sämtliche Doughnuts, die in der Kantine vorrätig sind. Sie können mich beim Wort nehmen.»
Morse ging in die Kantine, bestellte sich einen Kaffee (wieder mit viel Milch!), rauchte eine Zigarette, sann eine Weile nach über die potentielle Virulenz seiner Mundbakterien, versuchte danach vergeblich, die Anzahl der auf dem Tresen aufgetürmten Doughnuts zu überschlagen (aber fünfunddreißig waren es mindestens) und begab sich dann wieder in sein Büro.
Lewis begrüßte ihn mit dem strahlenden Lächeln dessen, der Erfolg gehabt hat. «Ich hab die Liste mit den Telefonnummern fertig, Sir. Die letzte Zifferngruppe war zum Glück nur vierstellig, so daß es überhaupt nur zehn mögliche Nummern gibt.» Er reichte Morse die Aufstellung.
8080 — J. Pettiford, Tabakwaren, Piccadilly
8081 — Victoria Kaskoversicherung, Shaftesbury Avenue
8082 — dito
8083 — dito
8084 — Douglas Schwartz, Vervielfältigungen, Old Compton Street
8085 — Long Men, China-Restaurant, Brewer Street
8086 — Claude & Mathilde, Haarstudio, Lower Regent Street
8087 — Levi & Goldstein, Antiquariat, Tottenham Court Road
8088 — Flamenco, Oben-Ohne-Bar, Soho Terrace
«Was ist mit der letzten Nummer?» fragte Morse ärgerlich.
«Soll ich...»
«Ich dachte, ich hätte gesagt, alle Nummern.»
Doch Lewis’ Bemühungen waren vergeblich. Der Teilnehmer mit der Nummer 8089 war offenbar nicht zu Hause.
«Na, dann lassen Sie es mal gut sein, Sergeant», sagte Morse, nachdem auch Lewis’ dritter Versuch gescheitert war, «von neun der zehn Nummern kennen wir ja jetzt die Teilnehmer, das ist ja schon ein ganz schönes Ergebnis. Aber Sie können trotzdem noch einen Anruf für mich erledigen: Stellen Sie mal fest, was eine Tagesrückfahrkarte zweiter Klasse nach Paddington kostet.»
«Wir fahren nach London?» fragte Lewis überrascht.
« Ich fahre. Einer von uns beiden muß es auf sich nehmen, und da ich für Sie hier wichtige Aufgaben habe...»
«Das wird Ihrem Zahn aber nicht guttun», sagte Lewis eine Spur giftig.
«Ah! Gut, daß Sie ihn erwähnen. Ich glaube, es ist an der Zeit, daß ich wieder ein paar Tabletten nehme.»
Zwölftes Kapitel
Donnerstag, 24. Juli
Sergeant Lewis setzt zum erstenmal seinen Fuß in das Akademische Prüfungsamt, den Moloch des Oxforder Prüfungsapparates.
Es war schon mitten am Vormittag, als Lewis das Akademische Prüfungsamt betrat. Die große, stille Eingangshalle, deren hohe Decke von Stichbalken getragen wurde, flößte ihm eine gewisse Scheu ein, so daß er
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