Das Rätsel der dritten Meile
Ermittlungen brachten immer neue positive Ergebnisse... «Und sie war tatsächlich mit Abstand die Beste?»
Lewis nickte. «Ja, Sir. Und wenn Sie meine Meinung dazu hören wollen, Sir...»
«Aber natürlich, Lewis, ich brenne geradezu darauf, zu erfahren, was Sie denken.»
«Also, ich meine, Sir, daß wir den Fall gelöst haben, wenn das Mädchen tatsächlich einen Onkel oder Vormund hat, der in Soho einen Nachtclub besitzt. Deshalb würde ich vorschlagen, daß wir so schnell wie möglich nach London fahren, um festzustellen...»
«Da bin ich ganz Ihrer Meinung, Lewis. Wir sollten allerdings nicht beide fahren; einer von uns sollte hierbleiben — für alle Fälle.»
«Und dieser Eine bin natürlich wieder mal ich», sagte Lewis bitter.
Morse nickte mit scheinheiligem Bedauern und begann dem Sergeant seine eigene, wieder einmal reichlich bizarre Sicht des Falles darzulegen.
Nachdem Lewis sich verabschiedet hatte, blieb Morse noch eine Weile sitzen, um über gewisse Unebenheiten in seiner Theorie nachzusinnen. Einige davon stellten seinen Verstand vor keine großen Schwierigkeiten — er überwand sie mit der sicheren Geschicklichkeit, mit der ein Gamsbock im Himalaya steile Hänge bezwingt. Vor anderen jedoch strampelte er sich ab wie ein Taucher mit bleibeschwerten Schuhen, der im tiefen Sand steckengeblieben ist. Vielleicht sollte er es für heute gut sein lassen. Zwei Dinge jedoch wollte er auf jeden Fall noch erledigen, bevor er ging.
Da war zunächst das Brieffragment. Nach dem, was Lewis ihm erzählt hatte, war an der von ihm rekonstruierten Fassung eine Änderung anzubringen. Das Wort Mädel in der fünften Zeile mußte durch Mündel ersetzt werden, so daß die Zeile nun lautete: «Vorteile hätte. Mein Mündel hat soeben am».
Nachdem er dies Problem gelöst hatte, nahm er einen Bogen Papier und konzipierte nach kurzem Überlegen eine knappe Verlautbarung, die am nächsten Tag in der Oxford Mail erscheinen sollte.
POLIZEI BITTET UM HINWEISE
IN EINEM MORDFALL
Die Polizei bittet alle Kunden von Marks & Spencer um ihre Mithilfe bei der Suche nach dem Mörder eines ungefähr sechzigjährigen Mannes, dessen Leiche am vergangenen Mittwoch in der Nähe von Thrupp aus dem Oxford-Kanal geborgen wurde. Der Tote (der bis jetzt noch nicht identifiziert werden konnte) trug Socken, die zu einer Lieferung von 2500 Paar gehörten, die in den letzten drei Wochen in ca. einem Dutzend Filialen des Bekleidungsunternehmens in und um Oxford zum Verkauf gelangt sind. Die Socken sind aus dunkelblauer Baumwolle und weisen am oberen Rand zwei helle Streifen auf. Sachdienliche Hinweise werden erbeten unter der Nummer Kidlington 4343.
Jetzt endlich war auch für Morse Feierabend, und er machte sich auf den Heimweg. Zu Hause angekommen, stellte er sich die Whiskyflasche in Reichweite, legte die Walküre auf und ließ sich seufzend in seinen Sessel zurücksinken. Gegen Mitternacht schleppte er sich, nicht mehr ganz nüchtern, ins Bett, konnte jedoch lange nicht einschlafen, weil er darüber nachgrübelte, was in aller Welt ihn dazu bewogen hatte, jenen unsinnigen Aufruf für die Oxford Mail zu verfassen. Zum Glück fiel ihm irgendwann De Bono ein, der gesagt hatte, in einer ausweglosen Situation sei es allemal besser zu handeln als gar nichts zu tun, und solcherart getröstet fielen ihm schließlich die Augen zu.
Siebzehntes Kapitel
Freitag, 25.Juli
Ein Gespräch von Morse und Lewis bringt die beiden der Wahrheit ein Stück näher.
Lewis war am nächsten Morgen extra früh erschienen (Morse war allerdings schon vor ihm gekommen), um in Ruhe das gerichtsmedizinische Gutachten studieren zu können.
«Grauenhaft, nicht, Sir?» sagte er, nachdem er mit dem Lesen fertig war.
«Dazu kann ich nichts sagen, ich habe es mir noch nicht zu Gemüte geführt», antwortete Morse.
«Einem Menschen den Kopf abzuhacken!» Lewis konnte sich gar nicht beruhigen.
«Es ist eine von vielen Möglichkeiten, jemanden umzubringen», sagte Morse achselzuckend. «Und zwar eine ganz besonders effektive.»
«Aber hier steht, der Mörder hätte ihm den Kopf erst hinterher abgehackt, als der Mann schon tot war...» wandte Lewis ein.
«Ja, ich weiß», sagte Morse müde. «Das ist ja gerade unser Problem. Wenn er ihm den Kopf abgehackt hätte, als er noch am Leben war — das wäre eine klare Sache. Aber warum, als er schon tot war — warum, warum, warum?»
«Na, weil wir den Toten sonst hätten identifizieren können. Wir hätten einen
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