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Das Rätsel der dritten Meile

Das Rätsel der dritten Meile

Titel: Das Rätsel der dritten Meile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Nordafrika-Veteranen, der jetzt in Wiltshire lebte und alle drei Gilbert-Brüder damals gekannt haben mußte. Am frühen Nachmittag war Lewis auf der A 420 unterwegs in Richtung Südwesten.
    «Ja, ich habe sie gekannt, Sergeant — übrigens ein merkwürdiges Gefühl, Sie so anzusprechen; ich war damals nämlich auch Sergeant. Aber Sie sind ja gekommen, um etwas von den Brüdern Gilbert zu hören. Also, da waren erst einmal Alf und Bert, die beiden Zwillinge. Ich hatte immer Schwierigkeiten, sie auseinanderzuhalten; sie sahen einander ähnlich wie ein Ei dem anderen. In der Schlacht von Teil el Aqqaqir hatte einer von den beiden einen Granatsplitter ins Bein bekommen, und mich hatte es am Kopf erwischt. Eine Weile lagen wir im selben Lazarett, ich kann mich nicht mehr genau besinnen... Waren tolle Burschen, die beiden, nicht unterzukriegen.»
    «Kannten Sie den dritten auch?» fragte Lewis.
    «Johnny! Na klar, aber nicht so gut wie die beiden anderen.»
    «Können Sie mir etwas über seinen Tod sagen?»
    «Nein, darüber weiß ich nichts.»
    «Alle drei waren Panzerfahrer, nicht wahr?»
    «Ja, genau wie ich auch.»
    «Starb er in seinem Panzer?»
    Der alte Mann zog grübelnd die Stirn in Falten, und Lewis fragte sich im stillen, wieviel man wohl auf seine Erinnerung noch geben konnte.
    «Also, ich glaube, es hat damals einen Unfall gegeben. Am Morgen des 2. November, als wir entlang des Kidney Ridge vorstießen, war er jedenfalls nicht mit dabei.»
    «Aber Näheres wissen Sie nicht über den Unfall?»
    «Nein, aber soviel ich mich erinnere, ist es hinten passiert, nicht vorne an der Front... Unfälle sind im Krieg gar nicht selten, das bringt die Situation so mit sich. Aber das versteht wohl nur, wer selbst als Soldat draußen gewesen ist; die zu Hause geblieben sind, haben davon keine Ahnung.»
    Während er ihm geduldig zuhörte, gewann Lewis den Eindruck, daß der Krieg für diesen Mann vielleicht die einzige Abwechslung in einem sonst eher eintönig verlaufenden Leben gewesen war. Das mochte auch erklären, warum er über jene Zeit so gar nicht bitter oder ablehnend, sondern beinahe wehmütig sprach.
    Morse war, als Lewis gegen halb fünf im Präsidium eintraf, noch nicht wieder da. Aber das war diesem nur recht. Den ganzen Rückweg über hatte er sich den Kopf zerbrochen, was es mit dem «Unfall», dem der junge Gilbert zum Opfer gefallen war, wohl auf sich haben mochte. Wäre Morse dagewesen, so hätte der sicher gleich eine Erklärung parat gehabt; seine Abwesenheit jetzt war endlich eine Chance, ein Problem auf seine eigene, zugegeben langsamere Art anzugehen. Nach einigem Überlegen rief er ein zweites Mal beim Heeresministerium an und ließ sich mit dem Archiv verbinden. Er merkte schnell, daß er offenbar auf eine wichtige Sache gestoßen war.
    «Ja, ich denke, wir haben da etwas. Von der Thames Valley Police sind Sie, wenn ich Sie recht verstanden habe?»
    «Jawohl.»
    «Wozu benötigen Sie die Information?»
    «Wir ermitteln in einem Mordfall.»
    «Ich verstehe. Gut, geben Sie mir bitte Ihre Nummer, ich rufe Sie dann zurück. Man kann, was die Weitergabe von Informationen angeht, heute nicht vorsichtig genug sein, sonst hat man, ehe man sich’s versieht, den größten Ärger.» Er sprach abgehackt, in kurzen Stößen, und Lewis fühlte sich an das Bellen eines Maschinengewehrs erinnert.
    Lewis nannte seine Nummer, und nach weniger als einer halben Minute rief der Beamte zurück und gab ihm die gewünschte Information: Der gemeine Soldat John Gilbert hatte tatsächlich — die Erinnerung des Alten war vollkommen korrekt gewesen — an jenem 2. November an der Schlacht bei Teil el Aqqaqir nicht teilgenommen. Und der Grund dafür war, daß er sich in der Nacht zuvor mit Hilfe seines Armeegewehres umgebracht hatte. Er hatte sich die Mündung der Waffe in den Mund geschoben; die Kugel war ins Gehirn gedrungen und durch die Schädeldecke wieder ausgetreten. Auf Anweisung allerhöchster Stellen war der ganze Vorfall vertuscht worden; unmittelbar vor einer entscheidenden Schlacht hätte so eine Meldung demoralisierend wirken können. Seine Kameraden im näheren Umkreis hatten natürlich etwas mitbekommen, das war unvermeidlich. Die offiziell verbreitete Version aber lautete, daß John Gilbert im Kampf gefallen sei; seine Familie wurde in diesem Sinne unterrichtet.
    «Das ist selbstverständlich alles streng vertraulich zu behandeln.»
    «Natürlich, Sir.»
    «Eine Sache wie diese sollte man nicht unnötig publik

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