Das Rätsel der dritten Meile
machen, so etwas schwächt den Kampfgeist, und der ist ja sowieso nicht der beste.»
Morse’ Tag war nicht so erfolgreich verlaufen, was jedoch nicht an ihm lag, sondern an den Aufgaben, die er übernommen hatte. Zur Klärung der ersten Frage hatte er in Oxford gar nichts unternehmen können, dazu mußte er nach London; die Fahrt war auch bereits für den morgigen Tag geplant. So war ihm im Grunde nichts übriggeblieben, als sich mit der zweiten Frage zu beschäftigen — mit jener Frage, die ihn von Anfang an verfolgt und geradezu gequält hatte: Wer war der Tote? Wenn man den Informationen in Browne-Smiths Brief trauen durfte, so sprach eigentlich vieles dafür, daß es jene unbekannte Person war, die zu ihm ins Zimmer getreten war, nachdem «Yvonne» ihn verlassen hatte. Aber da Browne-Smith sich wohlweislich gehütet hatte zu verraten, um wen es sich bei dieser Person gehandelt hatte, half diese Annahme auch nicht so schrecklich viel weiter. War es vielleicht Gilbert? Der Brief schien das ja fast nahezulegen. Oder war der Tote doch Westerby? Wenn Browne-Smith sich überhaupt dazu hatte hinreißen lassen, jemanden umzubringen, dann war Westerby eigentlich ein sehr wahrscheinliches Opfer. Andererseits konnte es sich bei der Leiche natürlich auch um jemanden handeln, der ihnen bei ihren bisherigen Ermittlungen überhaupt noch nicht ins Blickfeld geraten war, um irgendeinen Unbekannten, dessen Identität sich erst am Ende des fünften Aktes dramatisch enthüllen würde. Doch irgendwie wollte ihm diese Idee nicht so recht gefallen, und plötzlich schoß ihm durch den Kopf, daß es ja noch eine vierte Möglichkeit gab. Je mehr er darüber nachsann, um so überzeugter wurde er, daß sie die zutreffende sei: der aufgedunsene und gebleichte Torso war doch Browne-Smith — das heißt das, was noch von ihm übrig war.
Lewis war schon auf dem Heimweg, als ihm plötzlich einfiel, daß er eigentlich gut noch bei Simon Rowbotham vorbeischauen könne. Seine Frau würde zwar sauer sein, wenn er zu spät käme, und er würde sich mit wiederaufgewärmten Fritten begnügen müssen (wo er sie doch am liebsten ganz kroß mochte!), aber die Ermittlungen gingen schließlich vor.
Rowbotham lebte zusammen mit seiner Mutter in einem schmalen Reihenhaus. Er bat Lewis sogleich herein, doch dieser lehnte ab, und so fand ihr Gespräch zwischen Tür und Angel statt. Lewis erfuhr von Rowbotham, daß dieser nur einer von insgesamt drei Anglern gewesen sei, die an jenem Mittwoch beinahe gleichzeitig jenes, hier stockte Rowbotham und suchte nach einem passenden Ausdruck, jenes schreckliche Gebilde aus dem Wasser hatten auftauchen sehen, und daß er, Rowbotham als der Jüngste von ihnen sich bereiterklärt hatte, zur Telefonzelle zu laufen, um die Polizei zu informieren, da sie alle drei der Meinung gewesen seien, das «Gebilde» müsse näher untersucht werden. Auf Lewis’ Frage hin erklärte er, daß er oft am Ufer bei Thrupp angle, es sei ein sehr guter Platz für Hechte. Aus diesem Grund, fuhr er unaufgefordert fort, seien auch Bestrebungen im Gange, für die Angler dort oben einen eigenen Verein aufzuziehen. Er selbst werde möglicherweise das Amt des Schriftführers übernehmen. Gerade eben, als Lewis klingelte, sei er dabeigewesen, einen Probedruck des Briefkopfes zu begutachten, der einmal die Korrespondenz des Vereins zieren solle. Es sei übrigens erstaunlich, daß sie sich, obwohl der Verein noch gar nicht existiere, vor Mitgliedsanträgen nicht retten könnten. Das liege aber vielleicht auch daran, daß sie einige mehr oder weniger bekannte Persönlichkeiten zur Unterstützung ihres Vorhabens hätten bewegen können. Lewis, den das alles nicht besonders interessierte, trat unruhig von einem Fuß auf den anderen und nutzte die erstbeste Gelegenheit, als Rowbotham doch einmal Luft holen mußte, um sich zu verabschieden. Sein Gegenüber zeigte sich, wie Lewis erwartet hatte, enttäuscht, daß er schon gehen mußte, er hätte liebend gern noch mehr erzählt.
Gegen halb neun, nachdem er seine Frau besänftigt und das Abendessen eingenommen hatte, rief Lewis bei Morse zu Hause an, um ihm von dem Ergebnis seiner Nachforschungen zu berichten.
Als er fertig war, sagte Morse mit deutlich hörbarer Erregung in der Stimme: «Das mit John Gilbert erzählen Sie doch bitte gleich noch mal.»
Lewis ließ sich nicht zweimal bitten.
«Sie haben ausgezeichnete Arbeit geleistet heute, Lewis. Meinen Glückwunsch!»
«Und Sie, haben Sie auch
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