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Das Rätsel der Fatima

Das Rätsel der Fatima

Titel: Das Rätsel der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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liebst, im Koma liegt und langsam, von Minute zu Minute vor sich hin stirbt.
    Tolui trat neben sie. »Was ist?«, fragte er. »Will mein Onkel nicht trinken?«
    Beatrice öffnete den Mund, aber sie brachte keinen Ton hervor. Sie schüttelte den Kopf.
    »Nein«, krächzte sie schließlich heiser. Ihre Stimme klang, als hätte sie sich Watte in den Mund gestopft. Trockene, staubige Watte, an der sie gleich ersticken würde. »Es ist zu spät…« Sie richtete ihren Blick auf Tolui, der so blass wurde, als wäre er derjenige, der im Sterben lag. »Er reagiert nicht mehr, nicht einmal auf Schmerzreize. Und die Reflexe…« Sie schluckte, schluckte wieder. Die Watte wollte nicht verschwinden. Wenn sie doch wenigstens wirklich daran ersticken würde. »Sie sind weg, verstehst du? Er hat keine Reflexe mehr. Dschinkim verlässt uns. Und ich kann nichts tun… Gar nichts.«

18
     
     
     
    Die ein Traumgebilde mit zierlichen, goldenen Säulen und rot lackiertem Dach erhob sich vor Beatrice der Tempel, als sie auf den Stufen stand und emporblickte. Sie war allein. Maffeo, Li Mu Bai und sogar Marco hatten zwar angeboten, sie zu begleiten, aber sie hatte abgelehnt. Es gab Wege, die musste man allein zurücklegen. Zentnerschwere Bleigewichte schienen an ihren Beinen und Schultern zu hängen, als sie mühsam die hundert Stufen hinaufkroch. Zögernd, fast widerstrebend, als müsste sie sich erst durch eine unsichtbare Barriere hindurchkämpfen, betrat sie das Tempelinnere. Und im gleichen Augenblick wusste sie, dass sie das Richtige getan hatte. Dass es richtig war, hierher zu kommen.
    Hunderte, nein Tausende von Kerzen brannten in dem fensterlosen hohen Raum. Rauchwolken stiegen aus zahlreichen Messingschalen zur Decke empor und verbreiteten den reinigenden Geruch von Beifuß. Im hinteren Teil des Tempels standen etwa ein Dutzend Mönche. Beatrice nahm ihre Anwesenheit kaum wahr. Für sie waren sie nichts als orange Farbkleckse zu Füßen der großen goldüberzogenen, still in sich hineinlächelnden Buddhastatue. Trotzdem hörte sie laut und deutlich das »Ommm« vieler Männerstimmen, diese Silbe, deren Schwingung bei Aufzeichnungen im Oszillografen die Form einer perfekten Sinuskurve hatte. Ihr Klang drang bis tief in die Eingeweide, sogar bis ins Hirn, und legte eine sanfte, schützende Decke über ihren Schmerz. Während sie langsam den Raum durchquerte, wurde ein Gong geschlagen, immer wieder, in regelmäßigen Abständen. Aber es war nicht der erhabene, dröhnende Klang des Gongs, der bei kaiserlichen Audienzen ertönte. Sein Ton war tief und dumpf, schwermütig, klagend und fast ohne Widerhall. Es hatte keinen Zweck, sie musste den Tatsachen ins Auge sehen. Dies war der Gong des Todes.
    In der Mitte des Raums lag Dschinkim aufgebahrt auf dem Rücken. An seinem Kopf und zu seinen Füßen standen Messingschalen, aus denen Rauchsäulen aufstiegen. Seine lockigen schwarzen Haare quollen unter einem prächtigen Helm hervor. Jemand hatte ihm die Haare gekämmt und sie mit einem duftenden Öl eingerieben, sodass sie im Licht der Kerzen glänzten wie poliertes Ebenholz. Seine Rüstung war aus silbernen Platten gearbeitet, die von goldenen Gliedern zusammengehalten wurden. Dschinkims Hände lagen auf seiner Brust und hielten den Griff seines Schwerts. Er sah unbeschreiblich schön aus, wie ein strahlender Held oder ein sagenumwobener Krieger, der in tiefem Schlaf auf das Wort seines Herrn wartet, um aufzustehen und wieder in die Schlacht zu ziehen – neuen, noch ruhmreicheren Taten entgegen. Aber Beatrice wusste es besser. Dschinkim schlief nicht. Aus diesem Traum gab es kein Erwachen.
    Sie legte eine Hand auf seine kalten, rauen Hände. So, wie sie es während der ganzen letzten Nacht getan hatte. Während dieser langen, qualvollen Nacht, in der sie nichts hatte tun können, als zuzusehen, wie ein blauer Fleck nach dem anderen an seinem Körper aufgetaucht war. Es waren Einblutungen in die Haut, ein Zeichen dafür, dass die Leber es nicht mehr geschafft hatte, genügend Gerinnungsfaktoren zu produzieren. Es waren die blauen Flecken eines Kriegers, der in eine aussichtslose Schlacht gezogen und von einem heimtückischen, unsichtbaren Gegner besiegt worden war. Dank der Kleidung war davon nichts mehr zu sehen. Er war schön. Sein Gesicht sah so friedlich aus, selbst die gelbe Farbe konnte es nicht mehr verunstalten. Hilflos hatte sie mit ansehen müssen, wie diese ungesunde Färbung unaufhaltsam seinen natürlichen Hautton

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