Das Rätsel der Fatima
seinem Freund, mit dem er so oft zur Jagd gegangen ist, mit dem er so viel geteilt hat, ein Leid zuzufügen. Kommt mit, wir müssen zu Maffeo und ihn von diesem schrecklichen Verdacht freisprechen. Schnell, bevor ein Unglück geschieht. Wir dürfen keine Zeit verlieren.«
Beatrice und Tolui sahen sich an.
»Warum…«
Khubilai atmete heftig. »Ich liebe Maffeo Polo wie einen Bruder. Deshalb war mir die Vorstellung, ihn dem Henker oder gar dem Zorn des Volkes zu überlassen, ein Gräuel. Wegen unserer Freundschaft wollte ich es ihm selbst in die Hand legen, sich zu richten. Auf meine Weisung hin wurde ihm bereits vor zwei Stunden das Schwert gebracht.«
Sie liefen durch den Palast, sie rannten die schmalen Wege zwischen den unzähligen Gebäuden entlang. Diener sprangen erschrocken zur Seite und drehten sich überrascht nach ihnen um. Kaum einer von ihnen wollte seinen Augen so recht trauen, dass einer der drei Verrückten, die scheinbar um ihr Leben liefen, wirklich und wahrhaftig Khubilai, der Khan, der Herrscher über alle Mongolen und Chinesen, war.
Endlich erreichten sie das Gefängnis. Es war ein großes, fast würfelförmiges Gebäude ohne Fenster, das einzige Gebäude in ganz Taitu, das nur aus Stein erbaut worden war. Niemandem sollte es gelingen, zu entkommen. Und darin, dass Stein schwerer zu durchdringen war als Holz, waren sich wohl Mongolen und Chinesen ausnahmsweise einig.
Die Überraschung war den Wachen vor dem Tor des Kerkers deutlich anzumerken, als sie den Khan so unerwartet und in so ungewohnter Haltung auf sich zustürmen sahen. Doch sie stellten keine Fragen. Sie hoben ihre Krummsäbel, strafften ihre Schultern und richteten ihre Blicke starr geradeaus, sodass Khubilai und seine beiden Begleiter ungehindert passieren konnten.
Sie betraten einen quadratischen, von rußenden Fackeln erleuchteten Raum. An einem halben Dutzend Tischen saßen Schreiber.
Was sie so emsig auf große Bogen Papier notierten, konnte Beatrice nicht erraten. Vielleicht waren es die aktuellen Listen der Gefangenen, Listen über Zugänge und Entlassungen, Terminpläne für die Hinrichtungen oder die Lieferungen für die Verpflegung des Wachpersonals.
Einer der Schreiber, ohne Zweifel ein Mongole, denn er trug einen dichten schwarzen Schnurrbart, sah auf. Und für einen kurzen Moment glaubte Beatrice, dass diesen Mann der Schlag getroffen hatte. Er saß auf seinem Stuhl, ohne sich zu rühren, und starrte sie mit weit geöffneten Augen und offenem Mund an.
»Starr deinen Kaiser nicht so ungehörig an!«, fauchte Khubilai ungeduldig. »Bring uns sofort zur Zelle von Maffeo Polo, dem Venezianer. Schnell!«
In der nächsten Sekunde brach ein wahrer Tumult los. Die Männer sprangen wie aufgescheuchte Hühner durcheinander, keiner schien so recht zu wissen, was er als Erstes tun sollte, bis schließlich der Mongole, der offensichtlich so etwas wie der Oberaufseher war, seine Faust auf den Tisch niedersausen ließ. Das Holz ächzte und stöhnte unter der Wucht des Schlags, aber die Männer blieben wie erstarrt stehen.
»Ihr lauft hier herum wie eine Horde kopfloser chinesischer Dirnen.« Die Stimme des Mannes donnerte über die Köpfe der anderen hinweg. »Ihr habt gehört, was der Khan von uns verlangt.«
Einem seiner Männer befahl er, drei Fackeln zu entzünden. Dann deutete er auf einen anderen. »Du siehst nach, wo dieser Venezianer untergebracht ist. Und ich selbst werde Euch, den großen Khan, hinführen. Ihr anderen geht wieder an eure Arbeit. Aber ein bisschen plötzlich!« Er verneigte sich tief vor Khubilai. »Verzeiht, Herrscher und Gebieter, zürne deinen nichtsnutzigen Untertanen nicht. Der Glanz und die Ehre Eurer Anwesenheit hat ihre einfachen Gemüter so schwer erschüttert, dass sie nicht mehr Herr ihrer Sinne sind.«
»Es sei ihnen verziehen«, sagte Khubilai. »Vorausgesetzt, sie bringen uns sofort zu Maffeo Polo. Schnell. Wir haben es eilig.«
»Jawohl, Herr und Gebieter.«
Der Oberaufseher verneigte sich wieder tief und zischte seinen Leuten dann zornig etwas zu. Die Männer gehorchten den Befehlen, und innerhalb kürzester Zeit waren sie mit drei Fackeln ausgestattet auf dem Weg durch den Kerker.
Die Luft war stickig, die vermutlich meterdicken Mauern ließen keinen Luftaustausch zu. Immer wieder sah Beatrice im Licht der Fackeln mit Speeren gespickte Seitengänge oder gähnende Löcher im Boden. Sie liefen treppauf, treppab und schmale, nur handbreite Simse entlang, die über bodenlose
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