Das Rätsel der Fatima
Rücken. Ich hörte die Wirbelsäule unter seinen Zähnen brechen. Mein Adlerweibchen, das sich gerade mühsam wieder aufgerappelt hatte, knickte zusammen wie ein Halm im Wind. Es schrie, wie ich noch nie zuvor einen Adler habe schreien hören. Hilflos lag es am Boden. Doch der Fuchs ließ immer noch nicht von ihm ab. Erst als es so schwach war, dass es nicht einmal mehr schreien konnte, gab der Fuchs ihm den erlösenden Biss in die Kehle und verschwand, ohne sich noch einmal umzuschauen.«
Maffeo sah die blutige Spur im Gras, die den nächsten Hügel hinaufführte.
»Du sagtest, du hast einen Pfeil abgeschossen. Hast du ihn getroffen?«
Dschinkim nickte. »Ja, hinter der rechten Schulter. Er hat stark geblutet, aber er schien es nicht einmal zu merken.«
»Kommt, wir müssen ihm nachstellen«, erklärte Niccolo. »Wenn der Fuchs tatsächlich verletzt ist, kann er noch nicht weit weg sein.«
Doch Dschinkim schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass wir den Fuchs finden«, sagte er und warf Maffeo einen Blick zu. »Das war kein gewöhnliches Tier. Diese Bestie war entweder ein Dämon, der die Gestalt eines Fuchses angenommen hat, um uns zu täuschen, oder es war ein Zeichen der Götter.«
»Ein Zeichen?«
Dschinkim nickte langsam. »Ja, ein Zeichen. Jemand wird sterben. Bald.«
Niccolo runzelte die Stirn und verdrehte die Augen. Maffeo konnte sich gut vorstellen, welche Gedanken jetzt im Kopf seines Bruders umgingen. Er kannte dessen Einstellung zum Glauben der Mongolen. Die Mongolen sahen in jedem Ereignis gute oder schlechte Zeichen. Zu jeder Zeit rechneten sie damit, Geistern zu begegnen, und glaubten an die unheilvolle Macht von Dämonen. Für Niccolo war das nichts weiter als heidnischer Aberglaube. Natürlich war auch ihm klar, dass auf dieser Welt nicht nur die guten Mächte wirkten. Es gab schließlich den Teufel, der sich zuweilen schwacher Menschen bediente, um die Gläubigen in Versuchung zu führen. Doch letztlich bestimmte der dreifaltige Gott allein die Geschicke der Menschen. Und wenn Er Seinen Kindern ein Zeichen geben wollte, so sandte Er vielleicht einen Seiner Engel oder ließ einen Dornenbusch brennen. Unter gar keinen Umständen tauchte er jedoch als Fuchs auf. Maffeo wich Niccolos Blicken aus. Er war sich da nicht so sicher.
»Vielleicht gibt es auch eine ganz einfache Erklärung«, fuhr Niccolo schließlich fort. »Vielleicht war es eine Füchsin, die ihre Jungen beschützen wollte. Oder das Tier war tollwütig. Oder du hast dich einfach getäuscht, und es war gar kein Fuchs, sondern ein Wolf oder ein junger Bär, der von seiner Mutter getrennt worden ist.«
Maffeo hielt unwillkürlich den Atem an. Dschinkim war ein erfahrener Mann, der wie alle Mongolen seines Standes seit frühester Jugend zur Jagd ging. Er konnte mit geschlossenen Augen einen Fuchs von einem Wolf oder Bären unterscheiden, allein am Geruch. Niccolos unbedachte Worte waren daher eine schwere Beleidigung. Doch Dschinkim bedachte Niccolo lediglich mit einem langen Blick.
»Ich weiß, was ich gesehen habe.«
»Also schön. Dann war es eben ein Fuchs. Trotzdem sollten wir ihn verfolgen«, sagte Niccolo. »Seine Spur ist deutlich im Gras zu sehen. Verspürst du nicht den Wunsch, diesem Vieh seine ruchlose Tat heimzuzahlen? Und wer weiß, vielleicht ist er bereits hinter der nächsten Hügelkuppe verendet. Mit einem Pfeil im Rücken kommt er sicher nicht weit.«
Dschinkim seufzte. »Ihr Männer aus dem fernen Land der Abenddämmerung seid manchmal schwer zu verstehen. Ihr seid so beschäftigt mit eurem unsichtbaren Gott, dass ihr die Zeichen, die offen vor euch liegen, nicht beachtet.« Er schüttelte den Kopf. »Also gut, wir werden der Spur folgen. Aber nur bis über den nächsten Hügel. Sollten wir den Fuchs dann nicht gefunden haben, geben wir die Suche nach ihm auf.«
»Schön«, erwiderte Niccolo und lächelte. »Ihr werdet sehen, dass ich recht habe.«
Maffeo und Dschinkim warfen sich einen Blick zu. Keiner von ihnen rechnete damit, diesen Fuchs je wiederzusehen – höchstens in ihren Albträumen.
Sie bestiegen ihre Pferde und ritten den Hügel hinauf. Die Spur des Fuchses war so deutlich, dass sie ihr ohne Mühe bis über die Kuppe hinweg folgen konnten, doch in der nächsten Senke brach sie unvermittelt ab. Dschinkim glitt vom Pferd und ging in die Hocke.
»Die Spur geht nicht weiter«, sagte er nach einer Weile. Das Grauen in seiner Stimme war unüberhörbar. »Der Fuchs hat sich in einen Geist
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