Das Rätsel der Hibiskus-Brosche
nicht so wie sie — es ist zum Verrücktwerden!«
»Ich kann Ihre Gefühle verstehen, aber Sie sehen auch nicht so aus, als ob Sie sich große Anstrengungen zumuten könnten.«
»Es wird mir sicher bald wieder bessergehen. Darf ich fragen, Mrs. Wharton, welchen Studien Sie augenblicklich nachgehen?«
Augusta setzte zu einem weitschweifigen Gespräch an. Sie liebte es sehr, über ihre Arbeit zu sprechen. Anders als die meisten intelligenten Leute hielt sie die merkwürdigen Situationen und ungewöhnlichen Charaktere, die sie erfand, durchaus für möglich. Ganz genau berichtete sie Hillford von ihren Plänen für einen neuen Roman.
»Ich weiß, die meisten Leute können sich nicht vorstellen, daß es sogar hier in unserem schönen Land Elendsviertel gibt. Und zwar nicht nur in den Großstädten, sondern auch auf dem Lande.«
»Wirklich? Das wundert mich. Ich hätte mir eingebildet, Neuseeland sei ein Land, wo Milch und Honig fließen, besonders Milch!«
Augusta geruhte über diese originelle Idee zu lächeln. »Im großen ganzen haben Sie recht. Es ist ein Land des Wohlstands. Aber es gibt immer noch ein paar zurückgebliebene Winkel, wo arme Seelen sich auf unfruchtbarem Boden mühsam abrackern müssen. Sie leben, wie ich mir habe sagen lassen, in größter Armut und ziehen die, wie sie es nennen, Unabhängigkeit einer bescheidenen, wenn auch lohnenden Arbeit in der Stadt vor.«
»Sehr dumm von ihnen. Aber wie Sie sagen, sind das ja nur wenige. Ich habe sie in dem Land, aus dem ich komme, auch gefunden. Und ich meine, sie hängen eben an ihrem armseligen Stückchen Land und wollen sich nicht davon trennen.«
»Das ist ja die Tragödie, über die ich schreiben will! Ich will die harte Arbeit, die Kargheit und Unfruchtbarkeit ihres Lebens realistisch schildern.«
»Das könnte ein hochinteressantes Buch werden, das durchaus Ihrer Begabung entspricht«, erwiderte der Hauptmann trocken. »Aber wo wollen Sie das Material dazu aufspüren? Bestimmt nicht hier! Den Leuten, die hier leben, scheint es doch ganz gut zu gehen.«
»Auf den ersten Blick vielleicht. Aber kratzen Sie ein bißchen an der Oberfläche, und Sie entdecken Tragödien«, entgegnete die Schriftstellerin mit Nachdruck. »Sie sprechen von Erfolg und Glück, und doch gibt es sogar hier Verbrechen und Unheil.«
»Sie meinen diesen Mord? Darüber weiß ich nicht viel!«
»Der Mord und nun das Verschwinden dieses unglücklichen Mädchens.«
Hillfords Gesicht schien sich wieder zu verdüstern. »Ja, das ist eine böse Sache. Aber diese zwei Sachen gehören doch wohl kaum zusammen. Schrecklich, daran zu denken, wie ich mit ihr noch geritten bin, wie wir miteinander geplaudert und gelacht haben! Unglaublich! Was kann nur geschehen sein? Ich fühle mich so hilflos, so verwirrt.«
Augusta tröstete ihn: »Da Sie hier fremd sind, können Sie kaum viel helfen. Ich hörte, daß das ganze Dorf und alle Jagdteilnehmer draußen nach ihr suchen. Aber sie werden sie nicht finden...« Sie schüttelte düster den Kopf.
»Warum nicht? Was meinen Sie damit?«
»Es wird sich eine Tragödie abspielen! Erst Menschenraub, dann der Tod des Opfers — und schließlich ewiges Schweigen.«
Hillford sprang jäh auf und sagte: »Das ist ja ein furchtbarer Gedanke! Das kann ich nicht glauben. Die Polizei wird Miss Sutherland finden! Gebe Gott, daß sie sie nicht so finden, wie Sie prophezeien!«
»Sie werden zu spät kommen!« flüsterte Augusta. »Aber schließlich haben sie ja einen erfahrenen Helfer. Ich denke an meinen Schwiegersohn, Jim Middleton. Er ist eine Autorität in allem, was Pferde anbelangt. Er hat der Polizei schon bei der Aufklärung verschiedener Verbrechen geholfen. Seltsam, er ist doch gar kein großes Licht! Er ist ein ganz gewöhnlicher junger Mann, und dennoch...«
Hillford dachte: Typisch Schwiegermutter! sagte aber nur: »Wir wollen hoffen, daß ihm auch diesmal die Erleuchtung und sein Fachverstand helfen. Und jetzt, Gnädigste, darf ich der berühmten Schriftstellerin etwas zu trinken bestellen? Einen kleinen Sherry vielleicht?«
Es gelang ihm zu seinem eigenen Erstaunen, Augusta zu einem großen Gin zu überreden.
10
Alice Sutherland hatte nicht geschlafen. Wie hätte sie schlafen können, wo sie nichts wußte, aber alles fürchtete? Wie lange war es wohl möglich weiterzuleben, wenn das nicht bald ein Ende hatte? Ende! Vor diesem Wort, diesem Gedanken schreckte die Mutter zurück. Noch konnte man hoffen und glauben und
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