Das Raetsel der Liebe
ein. »Ich übernehme einige buchhalterische Aufgaben für Lord Northwood. Im Austausch gegen das Medaillon.«
Alexander musterte die ältere Frau aufmerksam, um zu sehen, ob sie die Lüge durchschaute. Doch seltsamerweise schien Mrs Boyd eher erfreut zu sein als argwöhnisch.
»Nun, ich bin der Auffassung, dass es sich für eine Frau nicht gerade schickt, anderen Leuten die Bücher zu führen«, räumte sie ein. »Doch abgesehen davon können Sie sicher sein, dass Lydia äußerst akkurat und gründlich zu Werke gehen wird. Sie hatte schon immer ein Faible für Zahlen, Mylord.«
»Das ist mir bereits aufgefallen.« Wieder blickte er zu Lydia. »Ich sollte mich besser auf den Weg machen. Man erwartet mich noch in dieser Stunde in den Büroräumen der Royal Society.«
Auf dem Weg zurück zur Kutsche hallten Sebastians Worte in ihm nach.
Such dir ein süßes, einfältiges junges Ding.
Alexander würde Lydia Kellaway nicht als süß bezeichnen. Sie war nicht süß, sondern scharf und pfeffrig. Und was das Einfältigsein betraf … Er musste beinahe lachen. Der Kopf dieser Frau quoll ja geradezu über von viel zu vielen Gedanken und Theorien. Und jung? Sie musste bereits an die Dreißig sein.
Er starrte aus dem Fenster. Nein. Miss Kellaway war zu direkt, zu eigensinnig, zu kratzbürstig. Und davon abgesehen ausgesprochen seltsam. Ebensowenig entstammte sie einer prominenten Familie. In seinen Kreisen würde man diese Verbindung äußerst abwegig finden. Es wäre nicht das, was man von ihm erwartete.
Und doch hatte ihn seit langer Zeit keine Frau mehr derartig fasziniert, falls überhaupt jemals. Lydia Kellaway war ihm nach wie vor ein komplettes Rätsel, aber er war fest entschlossen, es zu lösen.
Er brachte sie dazu, rot zu werden. Rot! Wie lange war es her, seit sie – Lydia Kellaway, das mathematische Wunderkind, das mit acht Jahren bereits Differenzial- und Integralrechnung beherrschte – errötet war? Zumindest auf eine Weise, die ein freudiges Kribbeln auslöste und das Bedürfnis zu lächeln.
Und wenn Lord Northwood sie ansah, flatterte ihr Herz wie Blütenblätter im Frühlingswind.
Was mochte er wohl denken, wenn er sie betrachtete? Gefiel ihm, was er sah? Die Hitze in seinem Blick ließ es vermuten. Doch er war weitaus erfahrener in solchen Dingen als sie, und so war das alles vielleicht nur ein Spiel für ihn.
Vielleicht aber auch nicht.
Sie presste die Hände aufs Gesicht. Selbst jetzt konnte sie noch die Wärme spüren, die mit der Röte in ihre Wangen gestiegen war. Irgendwo tief in ihrem Inneren, an einem Ort, an den zu denken sie sich nur äußerst selten gestattete, bewahrte sie die Erinnerung daran auf, wie sich fleischliches Verlangen anfühlte. Wie es war, wenn Hitze durch ihr Blut wallte, wenn sich Spannung in ihrem Schoß ausbreitete.
Doch das hier … diese Leichtigkeit, diese anschwellende Brandung unter ihrem Herzen … das war völlig neu. Willkommen. Wundervoll.
Gefährlich.
Lydia schloss die Augen. Sie hasste dieses warnende Gewisper in ihrem Kopf, diese Mahnung, dass sie es sich noch nicht einmal in ihrer Fantasie gestatten durfte zuzugeben, welche Empfindungen Lord Northwood in ihr auslöste. Geschweige denn, sie zu genießen.
»Lydia.«
Die Stimme ihrer Großmutter unterbrach ihre Gedanken. Sie schlug die Augen auf, setzte sich gerade hin und verschränkte die Arme über der Brust. Scham bohrte sich mit scharfen Krallen in ihr Herz, obwohl sie nichts Unrechtes getan hatte.
»Würdest du mich bitte in den Salon begleiten?«, sagte Mrs Boyd. »Ich habe mit dir zu reden.«
»Worüber?«
»Ich würde gerne einige Dinge mit dir besprechen, bevor ich morgen früh zur Bank gehe. Zehn Minuten, bitte.«
Damit drehte sie sich um und verließ das Zimmer. Ihre eisigen Worte verbannten jeden Gedanken an Lord Northwood aus Lydias Kopf. Sie strich die Falten ihres Kleides glatt und schob einige Locken, die sich selbstständig gemacht hatten, aus Nacken und Stirn wieder unter das strenge Haarband zurück.
Auf dem Weg in den Salon bemächtigte sich ihrer eine dunkle Vorahnung. Ihre Großmutter stand auf ihren Stock gestützt neben dem Kamin und wartete auf sie.
»Könntest du mir bitte erklären, was das zu bedeuten hat?«, sagte Lydia.
»Wie oft hast du Lord Northwood getroffen?«
»Getroffen? Zweimal, glaube ich. Warum?«
»Vermutlich wirst du ihn bald öfter treffen, wenn du seine Buchhaltung übernimmst«, fuhr Mrs Boyd fort. »Meine Freundin, Mrs Keene, behauptet, er sei
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